Pirmasens Leid und Leidenschaft

Bewundernd auch der Blick von Dirigent Volker Christ über die Stimmgewalt der Solistin Pat Appleton.
Bewundernd auch der Blick von Dirigent Volker Christ über die Stimmgewalt der Solistin Pat Appleton.

„Passion“ ist ein Begriff mit zwei verwandten und doch unterschiedlichen Bedeutungen. Er steht zunächst für das Leid allgemein, speziell aber für die Leiden Christi bei der Kreuzigung. Auf der anderen Seite steht „Passion“ aber auch für Leidenschaft. Beide Bedeutungen wurden von dem 1970 geborenen Chorkomponisten Will Todd in seiner „Passion Music“ verknüpft. Den Titel „Passions-Musik“ wählte er sicher bewusst aus, um einmal diese begriffliche Doppeldeutigkeit herauszustellen, andererseits aber auch klar zu machen, dass es sich hier nicht um die Vertonung einer biblischen Passionsgeschichte nach einem der vier Evangelien handelt. Todd hat für seine Komposition Texte zusammengestellt, die sich mit diesem Thema auf unterschiedliche Weise befassen und die er teilweise selbst verfasst oder aus verschiedenen Bibelstellen entnommen hat. Die Komposition ist erst ein Jahr alt und erlebte in Pirmasens durch den „Jungen Kammerchor am Immanuel-Kant-Gymnasium“ unter Volker Christ, der Jazzband „Amuse Gueule“ unter Leitung von Maurice Croissant und der Jazz-Diva Pat Appleton aus Berlin ihre deutsche Erstaufführung. Und was das Publikum erlebte, war sensationell. Da war zunächst dieses dichte, moderne, vielfältige Werk mit einer Musik, die den Gefühlsgehalt der Texte mit großer Wucht und Leidenschaft umsetzte und die Zuschauer dermaßen mitriss, dass man in nicht wenigen Augen Tränen sah. Am eindrucksvollsten hatte der Komponist dies in „Die sieben letzten Worte Christi am Kreuz“ umgesetzt. Verschiedene Stilarten wie Jazz, Blues und Pop, hatte Todd zur Vertonung benutzt und sie mit gutem Gespür für Dramatik eingesetzt. Was aber nützt die tollste Musik, wenn sie nicht auf angemessenem Niveau umgesetzt wird. Dafür sorgte „Amuse Gueule“ mit dem herausragenden Maurice Croissant als Jazzpianisten und den Musikern Achim Bißbort, Christoph Traxel, Benedikt Schwarz, Christine Kupperroth, Andreas Schnell und Michael Huppert. Swingend, rhythmisch präzise und mit großartigen Bläser-Akzenten lieferten sie das instrumentale Fundament der Musik und färbten diese mit kräftigen Blechbläser- und schmerzlich schönen Saxofonklängen. Die starke Stimme von Pat Appleton setzte mal lyrische, mal kraftvolle Akzente. Die erfahrene Sängerin ist in allen Stilarten zu Hause. Sie interpretierte die ersten Stücke „Greater Love“ und „We Believe“, die an Pop-Balladen erinnerten, mit großen lyrischen Bögen. Doch genau so emotional und überzeugend sang sie den Vorsänger-Part in „Love Unknown“ und im Spiritual „Were You Here?“ oder die Erzähler-Rolle in „Die sieben letzten Worte Christi am Kreuz“. Der eigentliche Star des Abends aber war der Chor. Die 35 jungen Menschen leisteten unter der Leitung von Volker Christ unglaubliches. Was ein professioneller und erfahrener Dirigent und Musiker aus Schülern herausholen kann, wenn er gleichzeitig als Pädagoge und Motivator unermüdlich mit ihnen arbeitet, war beeindruckend und ist für das Immanuel-Kant-Gymnasium ein außerordentlicher Glücksfall. Dies funktioniert vor allem dann besonders gut, wenn der Chorleiter ein so geniales Stück aussucht, das mit seiner Emotionalität und musikalischer Tiefe den Chor zu Höchstleistungen anspornt. Der Klang des Chores war stellenweise jung und geradezu verletzlich zart und dadurch besonders anrührend. Im A-Cappella-Stück „My Love Has Died For Me“ rührte nicht nur dieser Klang und die traurige und gleichzeitig wunderschöne Musik zu Tränen, sondern der Kammerchor demonstrierte auch, wie sauber und musikalisch diszipliniert und gleichzeitig innig und voller Leidenschaft junge Menschen mit schwierigen Linien und schrägen Klängen umgehen können. Auf der anderen Seite war der Chor aber auch in der Lage, einen riesigen Sound voller Dramatik und Kraft zu erzeugen. Dies geschah vor allem bei der Kreuzigungs-Szene, die den Blutdruck beim Publikum in bedenkliche Höhen trieb. Nie hätte man geglaubt, dass es sich hier um Schülerinnen und Schüler handelte. Die jungen Stimmen klangen dabei trotz allem nie forciert und die Höhe der Soprane schien grenzenlos zu sein. Das besondere war aber, dass es hier um mehr ging, als um eine beeindruckende Aufführung. Man konnte spüren, was es für junge Menschen bedeutete, ein solches Werk zu erarbeiten, es zu durchdringen und auf diesem immens hohen Niveau zu präsentieren. Der Schub an musikalischer Bildung, theologischer Reife und Entwicklung der Persönlichkeit der Chormitglieder muss enorm gewesen sein, sonst hätte dieses Konzert nicht diese Inbrunst und Leidenschaft haben können, die alle Zuhörer mitriss.

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