Pirmasens Pirmasens: Ein Gegenentwurf zur beschönigenden Büchern

Autor Hans Jörg Staehle
Autor Hans Jörg Staehle

Interview: Hans Jörg Staehle ist Ärztlicher Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg. Und er ist Autor eines Buches über Pirmasens, das nicht viel Gutes an der Stadt lässt. Warum provoziert er die Pirmasenser? Weil er einen Gegenentwurf auf den Markt bringen wollte zu den beschönigenden Werbebüchern über Pirmasens, sagt er.

Herr Staehle, warum schreibt ein Professor der Zahnheilkunde ein Buch über Pirmasens? Haben Sie eine besondere Beziehung zu der Stadt?

Ich bin von meinem Beruf sehr begeistert, es ist aber auch schön, über die Zahnheilkunde hinauszublicken. Seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit der Historie deutscher Städte. Pirmasens hat nach meiner Einschätzung eine der spannendsten und merkwürdigsten Stadtgeschichten Deutschlands. Das ist Grund genug, darüber zu schreiben. Zudem erscheint es mir als einem Bewohner Heidelbergs naheliegend, auch zu Städten der benachbarten Pfalz Beziehung aufzunehmen. Was ist denn so spannend und merkwürdig an Pirmasens? Spannend ist beispielsweise, wie sich Pirmasens nach einem Niedergang immer wieder aufgerafft hat. Merkwürdig finde ich beispielsweise, wie wenig Beachtung der in der Nähe von Pirmasens geborene Ralph H. Baer, der 1966 die Videospiele erfand und damit das Leben von Milliarden von Menschen beeinflusst hat, in Pirmasens findet. Seine Brown-Box ist zwar im Dynamikum zu sehen, aber ansonsten kennt ihn hier praktisch keiner. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden, vielleicht sogar eine Ralph-Baer-Hochschule. Hätte man von einem Wissenschaftler nicht ein weniger provokantes, weniger einseitiges Buch über Pirmasens erwarten dürfen? Sie finden heute eine Flut von beschönigenden Büchern über deutsche Städte. Kaum jemand nimmt an solch offenkundigen Verfremdungen der Wirklichkeit Anstoß oder empfindet das als Provokation. Ich habe nur selten gelesen, dass sich jemand geärgert hat, wenn nur die besten Seiten einer Stadt dargestellt werden. Wenn Sie aber einmal umgekehrt verfahren und skurrile Seiten in den Fokus nehmen, ist die Empörung stark. Es gibt auch zu Pirmasens eine große Zahl von überschwänglichen Werbebüchern und -broschüren. Mein Buch, das unter anderem diese Propaganda ins Visier nimmt, ist so gesehen eine Art Gegenentwurf dazu. Aber von einem Hochschulprofessor ist ein solches Buch ja nicht unbedingt zu erwarten. Hochschullehrern wird oft vorgeworfen, sie säßen in ihrem Elfenbeinturm fest und könnten nicht über den Tellerrand hinausblicken. Wenn einer dann neben seinem Beruf etwas anderes unternimmt und dabei auch andere Mittel wählt, wird so etwas wiederum mit Befremden aufgenommen. Sie nennen in Ihrem Vorwort drei Möglichkeiten, sich der Stadt Pirmasens zu nähern: die attraktiven Seiten betonen, die Problempunkte ansprechen oder auf Satire zurückgreifen. Aber Satire gehört doch nicht in ein Sachbuch über eine Stadt. Es ist auch kein reines Sachbuch. Ein todernstes Buch über Pirmasens kann dieser hin- und hergerissenen Stadt nicht gerecht werden. Aber ich gestehe zu, es ist nicht jedermanns Sache, die Satire zu erkennen und von ernsthaften Sachverhalten zu trennen. Manche Leser werden dadurch verständlicherweise verwirrt oder sogar ungehalten, andere fühlen sich provoziert. Es gibt aber auch Leute, für die das ein gangbarer Weg ist, ungewohnte Sichtweisen zuzulassen und so die Wahrnehmung zu schärfen. Warum verlieren Sie das modernere Pirmasens mit dem Strecktalpark mitten in der Stadt, den revitalisierten Schuhfabriken, der gelungenen Konversion oder den modernen Wohnformen wie „Wohnen für Generationen“ völlig aus dem Blick? Es gibt sicher viele weitere Bereiche, sowohl positiver als auch negativer Art, die man noch aufführen könnte. Der Anspruch meines Buches ist es jedoch nicht, eine vollständige und „objektive“ Beschreibung zu liefern. Wer ist die Zielgruppe Ihres Buches? Pirmasenser werden es nicht kaufen wollen und Auswärtigen ist Pirmasens nicht wichtig genug, um für ein solches Buch Geld auszugeben. Es gibt inzwischen ein überregionales Interesse an Pirmasens. Zudem steht Pirmasens in manchen Bereichen pars pro toto durchaus auch für andere Städte. Natürlich ist mir klar, dass es das Buch nicht leicht haben wird. Aber ich halte es trotzdem für nicht ganz ausgeschlossen, dass einige Leute in Pirmasens eine solche ungewöhnliche Darstellung zu schätzen wissen. Möglicherweise entdeckt die Leserschaft doch an der einen oder anderen Stelle Details über Pirmasens, die vorher unbekannt waren, bekommt also einen Wissenszuwachs. Erlaubt es Ihr gut bezahlter Beruf, auf monetäre Aspekte beim Schreiben und Bebildern eines Buches keinen Wert legen zu müssen? Es stimmt schon, ich bin nicht darauf angewiesen, dass solch ein Buch auf der Bestsellerliste landet. Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet? Ich beschäftige mich anhand der Literatur schon seit längerer Zeit mit der Stadt. Die Bilder habe ich in den Jahren 2015 bis 2018 aufgenommen. Woher stammen Ihre relativ detaillierten Kenntnisse beispielsweise von den Saufgelagen am Wedebrunnen? Auf die Situation am Wedebrunnen wurde ich durch einen Beitrag in der Zeitung aufmerksam gemacht. Ich habe dann die passenden Stichworte im Internet eingegeben und wurde von der Flut entsprechender Horrorberichte schon etwas überrascht. Und warum diese seitenlangen Ausführungen zu Martin Luther und die Reformation in einem Buch über Pirmasens? Es gibt mehr Bezüge zwischen Pirmasens und der Kirchengeschichte, als man gemeinhin wahrnimmt. Schon der Pirmasenser Hugo Ball hat sich in einem seiner Hauptwerke mit Luther und den Folgen seiner Reformation intensiv beschäftigt. Ich denke, es würde Pirmasens gut anstehen, diese historischen Bezüge aufzugreifen. Die Lutherglocke in Winzeln beispielsweise mit ihren drei Elementen (Lutherbild, Trutzlied, NS-Propaganda) könnte man als hervorragenden Ausgangspunkt für eine weiterführende Diskussion über die Beziehungen von Pirmasens und dem Luthertum nehmen. Das würde auch der Kirche nicht schaden. Oberbürgermeister Bernhard Matheis hat seinerseits mit einem provokanten offenen Brief auf Ihre Provokationen reagiert? Hat Sie das überrascht? Wäre ich Oberbürgermeister von Pirmasens, hätte ich vielleicht genau so gehandelt. Es ist schließlich nicht verkehrt, mit ironischen Bemerkungen auf ein solches Buch zu antworten. Was mir fehlt, ist die sachliche Auseinandersetzung mit einigen für die Stadt durchaus relevanten Inhalten des Buches. Wenn die erste Wut abgeklungen ist, sollten sich vielleicht auch Kommunalpolitiker überlegen, ob es in meinem Buch nicht Punkte gibt, die auch für sie neu und bedenkenswert sind. Mit der Unterdrückung von Kritik tut man jedenfalls nie etwas Gutes. Was bleibt unterm Strich? Ich möchte es nicht missen, dass ich Pirmasens durch meine Recherchen so gut kennengelernt habe und würde mich freuen, wenn das Buch einen Leserkreis findet, der durch meinen Blick von außen dazu ermuntert wird, seine etwas zwiespältige Heimat genauer unter die Lupe zu nehmen. Mehr zum Buch auf der überregionalen Kulturseite

Mit zahlreichen Schmuddelecken der Stadt hat Autor Hans Jörg Staehle sein Buch über Pirmasens bebildert.
Mit zahlreichen Schmuddelecken der Stadt hat Autor Hans Jörg Staehle sein Buch über Pirmasens bebildert.
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