Pirmasens Schmachten, sehnen, freuen

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Die (Un-)Tiefen der Liebe, manifestiert in schwarzer Tinte. Die standen mit Madeleine Giese und Rainer Furch am Donnerstagabend auf dem Programm der Pirmasenser Stadtbücherei im Carolinensaal. Die Lesung traf zielsicher den Geschmack des Publikums, das sich nur allzu gern in fremde Liebesleben locken ließ.

Madeleine Giese

und Rainer Furch gastierten mal wieder in Pirmasens und füllten prompt die heilige Halle des Carolinensaals bis auf den letzten Platz. Die Kaiserslauterer haben ein begeistertes, treues Publikum am Horeb. Zu Recht. Zuletzt waren sie mit ihren Schattentheater „Der kleine Prinz“ hier, nachdem sie drei Jahre zuvor für das Pirmasenser Stadtjubiläum ein literarisches Programm erstellt hatten. Dieses Mal geht es um etwas ganz anderes: um Liebesbriefe illustrer Menschen, in denen sich private Komödien und Tragödien widerspiegeln. Giese und Furch haben aus unterschiedlichen Nationen und gesellschaftlichen Schichten Liebende ausgewählt und wenden einen besonderen Kunstgriff an. Sie machen das Intimste der Liebenden öffentlich und den Zuschauer in gewisser Weise zum Voyeur. Es geht um Sehnsucht, Eifersucht, Verlangen, Erotik, existenzielle Nöte und Trennung auf Zeit. Und immer ist es den Schreibern wichtig, dem anderen nahe zu sein, ihm alles sagen zu können. Der Dramatiker Heinrich von Kleist nennt seine Henriette Vogel 1810 „Wonnemeer, Lebenselixier, Friedensbogen, Freude im Leid, Schutzengel“, bevor sie sich gemeinsam das Leben nahmen. Johanna von Puttkamer liebkost ihren Otto von Bismarck mit Kosenamen wie „Einzig treues Herz“ und „Waldrose“. Am liebsten möchte sie im Kuvert mit ihrem Brief sein und ihm entgegenfliegen. Schöne Worte für eine Ehe, die aus politischem Kalkül geschlossen wurde, aber doch zu einer großen Liebesgeschichte wuchs, die 50 Jahre währte. Napoleon ist da von ganz anderer Tonart. Er beleidigt seine Joséphine de Beauharnais schriftlich, weil sie ihm nicht schreibt. Hässlich sei sie, verdorben, ein Aschenputtel, ohne Liebe für ihn. Der Gedanke, dass andere Männer um sie sein könnten, bringt ihn um. Er denkt gar an „Otellos süßen Dolch“. Pure Leidenschaft spürt man auch in den Worten des Dichters Heinrich Heine, die er für die italienische Freiheitskämpferin Cristina Trivulzio Belgiojoso fand: fabelhaft, poetisch, feenhaft, sei ihr Gesicht, umrahmt mit ihrem schönen schwarzen Haar. Das Herz interessierte ihn dabei weniger, weil jede Frau eins habe. Auch seine Großmutter. Das Publikum lacht. Auch als sich Johann Wolfgang Goethe schriftlich seine Frau herbeiwünscht, eines breiten Bettes wegen, in dem er auf Reisen schlief. Weil: Es ist doch nichts besser als beisammen sein. Auch er fehle ihr, schreibt sie zurück, doch will sie sich nicht beklagen, um nicht Schuld daran zu sein, wenn ein Gedicht nicht fertig würde. Ein Stück Seife wünsche sie sich bei seiner Rückkehr aber schon. Grotesk wirkt hingegen, wenn Adolf Hitler in einem Brief Maria Reiter, die er Mimi nannte, holdes Gesichtchen und treuster Freund, vorschlägt, sie solle seine Bücher lesen, um ihn besser zu verstehen. Bei Henry Miller und Anaïs Nin geht es vordergründig um Erotik; Franz Kafka schreibt Felice Bauer: „Bleib in der Täuschung, dass du mich nötig hast“ und Kurt Tucholsky gesteht seiner Frau Mary 1935 per Post: „Ich hatte einen Goldklumpen in der Hand und habe mich nach Pfennigen gebückt.“ Zwischen dem einen und dem anderen Liebesbrief ließen Giese und Furch Spieluhren erklingen, um das Gelesene zu kommentieren. „Che sarà, sarà“ erkennt man, aber oft versteht man die Melodie kaum, weil nur ein Takt zu hören war oder viel zu schnell gekurbelt wurde. Wie im wahren Leben auch. Giese und Furch schlüpfen aber auch selbst in die Rolle Liebender, die sich gerade kennengelernt haben und inszenieren so mit hartem Schnitt das Früher und das Heute. Immer wieder senden sie sich Verabredungen und Komplimente per SMS. Unmittelbar und trotzdem distanziert klingen die Telegrammstil-Nachrichten. Für Emotionen sorgen sie offenbar letztendlich doch, denn eine Liebe bahnt sich an. Doch Bertolt Brecht sagt es in einem Sonett viel schöner: Ich sage ich – und könnte sagen wir. Madeleine Giese und Rainer Furch boten eine fantastische szenische Lesung, für die sie Briefe aus sieben Jahrhunderten auswählten. Ohne Kostüm und Ausstattung gelang es ihnen mühelos, ihr Publikum in andere Welten mitzunehmen. Mit der Macht der Stimme und der Schauspielkunst. Ein emotionales Glanzereignis, sei es gewesen, findet Dezernentin Helga Knerr. Dem stimmt das Publikum gleich zu.

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