Pirmasens „Vertrau mir, in drei Wochen wird es dir gefallen“
Volker Christ wird am Sonntag, 22. März, ab 18 Uhr mit seinem Jungen Kammerchor des Kant-Gymnasiums, Orchester und Solisten Bob Chilcotts Johannes-Passion als deutsche Erstaufführung auf die Bühne bringen. Unser Mitarbeiter Fred G. Schütz unterhielt sich mit Christ über die besonderen Herausforderungen, mit einem Jugendchor ein Werk aufzuführen, für das es noch kein klingendes Vorbild gibt.
Wir haben schon früh angefangen zu proben, direkt nach unserem Herbstkonzert mit „Sun, Moon, Sea & Stars“ in der Alten Post. Das Stück, vor allem die Einstudierungsarbeit, ist für mich persönlich besonders reizvoll, weil es gar nichts gibt, was man sich anhören könnte. Es gibt keine Vorbilder, das ist herrlich. Von wann stammt Chilcotts Johannespassion? Von 2013, uraufgeführt am Palmsonntag 2013. Es gibt noch nicht mal was auf Youtube. Das liegt daran, dass der Komponist da noch die Hände drauf hat. Jetzt, am 20. Februar, ist eine CD erschienen, keine Live-Aufnahme, aber mit dem Personal der Ur-Aufführung. Die habe ich mir zugelegt, einmal angehört und sofort weggeschmissen. Weil es schrecklich ist – nicht die Aufnahme selbst, das ist super, toller Chor und alles –, aber wir haben jetzt unser eigenes Bild vor Augen. Wir haben das ganz anders angelegt. Viel deklamatorischer, viel dramatischer, viel opernhafter – schließlich ist es ja eine absolut dramatische Handlung, die sich da abspielt. Und dem wird auch in der Komposition Rechnung getragen. Die Musik ist absolut dramaturgisch gedacht, der Chor schlüpft ja ganz ähnlich wie bei Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion auch in verschiedene Rollen. Mit Bach im Ohr, wo unterscheidet sich Chilcott? Zunächst ist Chilcott, das hat man auch bei seinem Requiem, das wir vor zwei Jahren aufgeführt haben, gemerkt, der Tradition der abendländischen Kirchenmusik seit Notre Dame total verpflichtet. Er hat zeitlebens als Sänger gearbeitet und das alles gesungen, den Bach’schen Evangelisten, als Chorknabe diese ganzen Werke aufgeführt. Dem huldigt er ohne es zu kopieren. Deshalb bin ich ein großer Fan seiner Kompositionen, weil zu jeder Zeit spürbar ist, dass er in dieser Tradition groß geworden ist, dass er das verehrt und liebt und trotzdem zu einer ganz eigenen Tonsprache findet, ohne dass er dabei Neutöner-mäßig das Rad neu erfinden will. Es ist eine romantische Tonsprache mit Pop- und Jazz-Anklängen und immer wieder Verbeugungen vor den alten Meistern. Es wird niemand verschreckt sein. Er zitiert sogar das liegende Kreuz wie bei Bach, wenn man den ersten und dritten und den zweiten und vierten Notenkopf miteinander verbindet. Ist das ein ausgesprochenes Werk für junge Leute, oder ist es alterslos? Absolut alterslos. Die Pop- und Jazz-harmonischen Anklänge sind anrührend und ergreifend für jeden Menschen. Für meine Jugendlichen, die da mitsingen, ist das Stück zunächst schwieriger zugänglich, schon allein deshalb, weil’s geistlich ist, dann weil es – mit dem ganz großen Überbegriff – klassisch ist, und weil es nun mal schwere englische Texte sind, altes Bibel-Englisch, kein Pop-Song-Englisch. Sie spielen in der Johanneskirche. Ist dann auch wieder ihr musikalischer Partner, Bezirkskantor Maurice Croissant, mit dabei? Der Maurice spielt dieses Mal Orgel. Das Werk ist eigentlich für ein kleines Bläser-Ensemble instrumentiert, zwei Trompeten, Horn, Posaune, Tuba plus Orgel und, was wirklich sehr besonders ist, zwei Streichern, Bratsche und Cello. Und jetzt kommt der Kracher: Was bei Bach vom Cembalo begleitete Rezitative sind, wird hier von den beiden Streichern obligat begleitet. Das macht natürlich einen ganz tollen klanglichen Effekt aus. Da gibt es ein ganz großes Cello-Solo, das die Kreuzigungsszene einleitet, und ein paar Spezialitäten, die da schon überraschend sind. Zu jedem der Gesangssolisten, die Christus-Partie etwa, treten die tiefen Bläser dazu, Pilatus hat die beiden Trompeten als Markenzeichen. Was war die besondere Herausforderung bei diesem Werk, etwa beim Proben? Die Herausforderung ist, dass man so ein Stück für einen Chor heraus sucht, von dem man noch nicht weiß, ob alle dabei bleiben werden. Es gibt auch manche, die sagen, Herr Christ, das gefällt mir nicht, ich gehe. Dann sage ich: He, vertrau mir einfach, in drei Wochen, wenn du’s ein bisschen kennst, wird es dir gefallen. Man weiß also nie so ganz, ob es ankommt, ob wir es auf den Punkt fertigkriegen. Es sind ganz wenige gegangen. Es sind auch einige Alumni dabei, die jahrelang tragende Säulen meiner Chorarbeit waren, die kommen, weil Semesterferien sind, für dieses Projekt zurück. Sie haben wieder ein ganzes Probenwochenende veranstaltet. Was hat es gebracht? Es bringt eine unglaubliche Intensitätssteigerung der Arbeit. Wir proben ja sonst einmal wöchentlich, freitags nach der sechsten Stunde, dann gibt’s immer mal wieder einen Samstag, den wir uns dazu nehmen, das waren drei für dieses Projekt. Aber so ein Probenwochenende wie in Dreisbach, wo kein Handy-Empfang ist und nix, da erreicht man eine Intensität in der Arbeit, die auch die Kinder als wunderbar verspüren. Ist es nicht schade, dass bei dem gewaltigen Probenaufwand am Ende nur ein Konzert gegeben wird? Wir werden hoffentlich auf einem Niveau sein, wo man auch ein bisschen tingeln gehen könnte. Aber das ergibt sich leider nicht, vielleicht noch nicht. Wir haben ja schon den Sprung ins offizielle Kulturprogramm der Stadt geschafft, wir sind dieses Jahr sozusagen das Pendant zur Johannes-Passion des Musikvereins im letzten Jahr. Ich suche immer nach Partnerschaften mit anderen Schulchören, die auf ähnlichem Niveau arbeiten, aber das ist schwer unter einen Hut zu bringen. Was darf das Publikum erwarten? Die Bach’sche Johannespassion dauert zweieinhalb Stunden, dieses Stück dauert ohne Pause eine gute Stunde, ist also auch für die Kinder überschaubar. Was bei Bach die Arien mit Chor sind, das heißt hier Meditations. Es gibt vier Meditations und fünf Hymns, das ist der nächste Knaller. Die haben wir in Kooperation mit Pfarrer Bernd Rapp so eingerichtet, dass die ersten drei vom Publikum beziehungsweise der Gemeinde mitgesungen werden können. Bereits jetzt wird im Gottesdienst in der Johanneskirche immer einer als Altar-Vers gesungen. Die erste Strophe singt dann das Publikum als Chor mit. Auch das ist eine Verbeugung an die Tradition bei Bach. Damit wird auch dem liturgischen Charakter der Musik Rechnung getragen.