Speyer Als Deutschland in „anderen Umständen“ war

„Kleine Frau – was nun?“: Dieses Stück haben Schauspieler des Herxheimer Chawwerusch-Theaters am Donnerstagabend in der ausverkauften Aula des Speyerer Nikolaus-von-Weis-Gymnasiums präsentiert.

„Revolution!“, rufen die rund 300 Zuschauer auf das Zeichen des Erzählers Ben Hergl hin – und befinden sich mitten im Geschehen: Vor 100 Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende, und die Weimarer Republik entstand. In dieser Zeit ist die Lebensgeschichte von Luise Aumüller, gespielt von Miriam Grimm, angesiedelt. Ein multifunktionales Bühnenbild aus grauen und roten Elementen stellt verschiedene Orte dar. Nach einem Handgemenge mit einem französischen Soldaten flieht die Wahlpfälzerin nach Berlin. Dort wohnt sie bei der umtriebigen und immerzu rauchenden Tante Berta (Felix S. Felix). Es ist die Zeit von Generalstreiks, Protesten und unvereinbar scheinenden Forderungen, in die Luise hineingerät. In der Inszenierung wird das Publikum zum protestierenden Volk, das die einander entgegenstehenden Positionen durch gängige Parolen zum Ausdruck bringt. Es geht um Kompromisse, gelebte Demokratie, freie und geheime Wahlen sowie das Frauenwahlrecht. Das dynamische Stück lebt von vielstimmigen Gesangseinlagen, schnellen Szenenwechseln und der Vielseitigkeit der Schauspieler, die einmal sogar mittels Kostümen das Geschlecht tauschen. Von schnellen Szenen wie etwa in einer Berliner Fabrik profitiert das Stück ebenso wie vom Stilmittel des Standbildes. Eine Szene spielt in Tante Bertas Nachtclub, der sich durch rotes Licht besonders abhebt. Dort trifft sich Luise mit ihrem aus dem Krieg zurückgekehrten Verlobten Frieder (Thomas Kölsch). Daneben gibt es wechselnde Standbilder des Clublebens. So entstehen zwei parallele Schauplätze mit verknüpfter Handlung. Die Sozialdemokratin Paula (Monika Kleebauer) und der arbeitslose Freidenker Willi (Stephan Wriecz) werden Teil von Luises Leben. Sie holt sich Rat und arbeitet mit ihnen bei der Armenspeisung. So lernt sie andere Lebensentwürfe kennen und entwickelt Selbstvertrauen. Das Stück begleitet neun Monate lang den Gründungsprozess der Weimarer Republik. Zu Beginn verkündet der Erzähler, Deutschland sei in „anderen Umständen“. Am Ende steht die Geburt der ersten deutschen Demokratie. Engmaschig erzählt das Stück das politische Weltgeschehen nach und bettet es in die Lebensgeschichte der „kleinen Frau“ Luise ein. Authentisch erklingt zum Schluss des Stücks das Gedicht „An unsre Kleine“ des zeitgenössischen Autors Kurt Tucholsky. Nach dem formalen Ende tritt Kölsch nochmals vor das Publikum und ruft die Zuschauer dazu auf: „Bleiben Sie wachsam!“

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