Speyer Freistoss:

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Alexander hat einen der besten Plätze beim Damen-Basketballspiel Speyer-Schifferstadt gegen Rhein-Main in der wohligen Osthalle ergattert, nahe der Mittellinie, nicht zu hoch droben auf der Tribüne und nicht zu weit unten. Seine Eintrittskarte trägt die Nummer 970. Er könnte sich an das Geländer lehnen. Kein Riese vor ihm versperrt ihm die Sicht. Alexander packt ein dickes Buch aus, dicker als die Bibel, dicker als der Duden und beginnt ¬ zu lesen. Nichts bringt den Brillenträger mit dem Vollbart aus der Ruhe. Der obere Tribünenteil ist anlässlich eines nicht zu erwartenden Zuschauerandrangs abgehängt. Die Schiedsrichter stehen in Schwarz mit verschränkten Armen schon bereit. Musik erklingt. Speyers Trainer Harald Roth kauert auf seinem Stühlchen. Der Stift in seiner Hand wandert von der rechten zur linken. Die Spielerinnen machen und kreischen sich warm. Alexander blickt stoisch in sein Druckwerk. Auf den blauen Trainingsjacken der Einheimischen stehen ihre Nachnamen, auf den weißen Trikots drunter dagegen nicht. Basketballlehrer Roth kniet nieder und redet auf seine Mädels ein. Jetzt steht er hinterm Korb, den Stift immer am Mann. Der Übungsleiter nimmt noch einen Schluck aus der Pulle. Headcoach steht auf seinem Rücken. Auch der Bücherwurm bewegt sich und blättert um. Einer der Unparteiischen pfeift. Der Sportliche Leiter Dirk Recktenwald greift zum Mikrofon: „Geht nicht“, ruft er entschuldigend Richtung Publikum. Alex juckt’s nicht die Bohne. Ein paar Rhein-Main-Anhänger sind auch da und viel Speyerer Basketball-Promis von einst und jetzt: das Ehepaar Schäffer, der langjährige Trainer Bernd Klein mit Kind, Ex-Zweitliga-Spielerin Marie Schwaab, Coach Mike Gould, ein früherer Kassierer ... Roth führt seinen Stift dem eigentlichen Zweck zu, schreibt auf eine Tafel, geht wieder in die Knie. Ein trötendes Geräusch weist auf den Spielbeginn hin. Ein Gäste-Fan kritisiert lautstark die eigene Mannschaft. Eine Basketballerin erwidert mit grimmigem Gesichtsausdruck. Wenn Blicke töten könnten. Leseratte A. beschäftigt sich weiter intensiv mit seinem Wälzer. Viertelpause: Ein Mädchen versorgt die Teams mit allen ausgedruckten Daten aus dem Computer. Der jüngste Basketballnachwuchs erkundet die 24-Sekunden-Uhr für einen Angriff und einen Trommelschläger. Halbzeitbelustigung, moderiert von Macher Recktenwald: „Das geht heute auch ohne Mikrofon“, ruft er den Zuschauern zu und nennt eine ausgeloste Nummer. Recktenwald kennt den jungen Mann nicht, der sich in den Mittelkreis begibt: „Aha, einer unserer Gäste.“ Der Arme soll den schweren Ball aus der Mitte in den Korb befördern. Er versucht’s wie ein Fußballer beim Einwurf. Plopp, noch vor dem Brett plumpst die Kugel zu Boden. Der Held geht zurück auf die Tribüne und greift – nach seinem Buch. „Die Situation ist da.“ So brachte Konrad Adenauer einmal eine unangenehme Situation auf den Punkt. Ob die Lage geklärt wurde, ist im Laufe der Jahrzehnte vergessen worden. Aktuell indes hofft ein Speyerer Sportverein auf die Lösung einer Frage, die im Verhältnis zu seiner eher kleinen Mitgliederzahl ziemlich groß ist. Nämlich: Wie stellen wir es an, dass wir mehr Bier umsetzen? Nun ist Biertrinken trotz anderer Verlautbarungen keineswegs der Anlass zur Gründung eines Vereins, erst recht nicht eines Klubs, der sich immer wieder einmal dem Scherz der Erkenntnis ausgesetzt sieht, wonach das Schönste am Sport das Bier hintennach sei. Dies vorweg – und nun zum Inhalt eines Anschlagzettels am schwarzen Brett jenes Vereins. Auf dem Papier steht unter dem Angebot für Mitglieder, einen Kasten Bier für zehn Euro kaufen zu können, auch die Begründung dafür. Nämlich: „Die Maßnahme ist erforderlich, um unserer vertraglichen Absatzpflicht gegenüber der Brauerei nachzukommen und um eine Konventionalstrafe zu vermeiden.“ Zwar wird nach allgemeinem Brauereigutdünken Durst durch Bier erst schön, nicht aber die möglichen Folgen dieses Zusammentreffens. Das bedenkend, halten jene Sportler, aktive wie passive, offensichtlich ein mit dem Schoppenschwenken. „Es wird viel, viel weniger getrunken als früher“, teilt der Vereinsvorsitzende mit. Das ist im Hinblick auf die Sicherheit im Straßenverkehr sehr gut und überhaupt ratsam, um folgenschwere Begegnungen mit den Damen und Herren aus dem Blaulicht-Milieu auf der Heimfahrt vom Klublokal zu vermeiden. Es ist aber gar nicht gut im Hinblick auf den Brauereivertrag dieses Vereins – siehe Zettel am schwarzen Brett. Lesen bildet, meint die Sportredaktion |mer

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