Speyer Kulturgesichter im Porträt (11)

 Jutta Brandl: Sängerin.
Jutta Brandl: Sängerin.

Mit seinen in der Adventszeit unter www.speyer.de/kulturgesichter vorgestellten Menschen aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche beteiligt sich die Stadt Speyer mit ihrem Projekt Speyer.Kultur.Support an einer bundesweiten Initiative. Die RHEINPFALZ stellt die Kulturgesichter ebenfalls vor. Auf der Internetseite der Stadt gibt es die kompletten Interviews mit Kultur-Fachbereichsleiter Matthias Nowack.

Jutta Brandl ist Sängerin und seit 35 Jahren in der Branche. Seit März hatte sie nur vereinzelt Live-Konzerte oder Streams. Keine ihrer Workshops und Unterrichtseinheiten fürs Circle-Singen fanden statt. Nicht nur der finanzielle Verlust sei schlimm. Auch den Kontakt zu ihrem Publikum und den Teilnehmern ihrer Workshops zu halten, sei schwierig, sagt sie.

„Ich bin ein positiver Mensch und versuche irgendwie das Beste draus zu machen. Ich übe viel, lerne Neues, entwickle Konzepte für meinen Unterricht und meine Workshops und arbeite mit Bernhard Sperrfechter an einem Album. Ich versuche meine Kreativität zu erhalten und immer wieder anzuregen. Im Sommer und Herbst war auch wieder Präsenzunterricht möglich, was wenigstens ein bisschen Musik mit anderen Menschen in meinen Alltag bringt. Aber die Konzerte und der Austausch mit anderen Musikern fehlen immens.“

An der Lebenssituation vorbei

Die Hilfspakete seien an der Wirklichkeit der Lebenssituation der Branche vorbei geplant, betont sie. Sie sind zu bürokratisch, der Arbeitswirklichkeit nicht angepasst und zu zeitverzögert. „Wer von staatlicher Seite ins Berufsverbot befördert wird, sollte schnell und unbürokratisch unterstützt werden. Das ist leider nicht gegeben. Bis auf mein Honorar von der Musikschule sind so gut wie alle meine Einnahmen weggebrochen. Die Hilfspakete greifen bei mir nicht ... Mit meinen Honoraren bestreite ich meinen Lebensunterhalt. Die ersten Gelder konnte ich wie viele Kollegen nicht beantragen.“

Auch Hartz IV oder andere Hilfsgelder griffen bei ihr nicht, weil sie verheiratet ist und ihr Mann durch die Pandemie finanziell nicht beeinträchtigt ist. „Die nicht selbst verschuldete finanzielle Abhängigkeit vom Einkommen meines Ehemannes ist für mich ein Rückschritt. Ohne Aussicht auf Erfolg, aber auch aus Solidarität zu meinen Kollegen ... habe ich mir den immensen bürokratischen Aufwand für die Hilfen und die zu erwartenden abschlägigen Bescheide erspart.“

Weniger Auftrittsmöglichkeiten

Alle abgesagten Konzerte wurden, oder werden, wenn überhaupt, auf 2021 verschoben. Der Buchungsvorlauf verlängerte sich so um mindestens ein Jahr. Das heißt unter Umständen ein weiteres Jahr ohne jegliches Einkommen. Viele Musiker und Veranstalter und andere in der Branche tätigen Menschen würden sich nicht so lange halten können.

Das werde dazu führen, dass es noch weniger Auftrittsmöglichkeiten geben wird. Für die Konzerte, die es dann noch gibt, befürchte ich eine noch stärkere Verschiebung des finanziellen Risikos auf die Künstler. Sinkende oder keine Festgagen mehr, Konzerte „auf Eintritt“, das alles wird zunehmen. Bekannte Künstler werden sich vielleicht irgendwie halten können, meint sie, für Berufsanfänger, die sich gerade versuchen zu etablieren, werde es äußerst schwierig.

Immer Wege gefunden

„Kultur ist kein Luxus, sondern wichtiger Teil unseres Lebens. Damit das in der Gesellschaft so ankommt, sollten die freien Kulturschaffenden genauso subventioniert werden wie die Theater, die Klassische Musik oder die Museen.“ Auch für die Theater und andere Kultureinrichtungen sei die Situation sehr schwierig, aber die dort Angestellten könnten wenigstens Kurzarbeitergeld beanspruchen.

Sie glaubt dennoch nicht, dass die freie Szene „untergeht“. „Wir haben bis jetzt immer Wege gefunden. Das kann ich aus meiner 35-jährigen Erfahrung sagen. Die jetzige Situation ist allerdings eine noch nie Dagewesene! Aber ich glaube an uns Kulturschaffende. Wir sind kreativ, ambitioniert, erfindungsreich und idealistisch genug, um immer weiterzumachen. Vielleicht muss man sogar ,leider’ sagen. Wir werden selbst unter schlechtesten Bedingungen nicht aufhören. Kunst und Kultur gab es immer und wird es immer geben.“ Das zeige, wie essenziell beides für uns Menschen ist. Die Arbeit der Kulturschaffenden sollte anerkannt und gewürdigt werden. Staatliche Subventionierung für Künstler und Veranstalter würden die Bedingungen etwas gerechter machen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für freie Kulturschaffende wäre ein Zeichen.

x