Speyer Lachgas-Konsum: Gar nicht zum Lachen

Lachgas: Flaschen mit der Partydroge können in Niedersachsen sogar aus einem Warenautomat gezogen werden – was für Kritik sorgt.
Lachgas: Flaschen mit der Partydroge können in Niedersachsen sogar aus einem Warenautomat gezogen werden – was für Kritik sorgt.

Lachgas heißt die neue Partydroge, die auch unter Jugendlichen in der Vorderpfalz verbreitet ist. Das Narkosemittel verspricht einen ebenso schnellen wie folgenlosen Rausch, ist vergleichsweise günstig und frei verkäuflich. Doch Polizei und Mediziner sind alarmiert: Der Konsum kann schwerwiegende Nebenwirkungen haben.

Für die Speyerer Polizei war es eine Premiere. In der Nacht zum Samstag entdeckte eine Streife einen 18-Jährigen, der auf dem Fahrersitz eines abgestellten Autos schlummerte. Offenbar weil er zuvor ausgiebig Lachgas inhaliert hatte, ein entsprechendes Behältnis lag neben dem Fahranfänger. Weil die Polizisten „Zweifel an der Fahrtauglichkeit“ des schläfrigen jungen Mannes hegten, nahmen sie ihm lieber die Fahrzeugschlüssel ab.

Wohl zu Recht, denn bundesweit mehren sich die Berichte über Fahrer, die sich erst das berauschende Gas reinzogen und hernach teils schwere Unfälle verursachten. Auch das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz (LKA) warnte jüngst vor übermäßigem Gebrauch des Narkosemittels, der gravierende Folgen haben könne. Der Konsum habe zugenommen, gerade unter Jugendlichen, so das LKA. Doch gebe es keine belastbaren Zahlen, weil Lachgas nicht als Betäubungsmittel eingestuft, sein Konsum erlaubt und es frei verkäuflich sei.

Daher kann auch das Polizeipräsidium Rheinpfalz nicht mit konkreten Angaben zu Distickstoffmonoxid – so die chemische Bezeichnung - als Gefahrenquelle dienen. Zudem sei Lachgas nicht nachweisbar, weder im Blut noch im Urin. Eine Tatsache, die der Polizei den Umgang mit dem flüchtigen Stoff nicht leichter macht, wie aus Kreisen der Gesetzeshüter verlautet.

Strengere Regeln im Ausland

Doch auch so ist die Entwicklung besorgniserregend. In den Niederlanden und in Großbritannien hat die Verbreitung unter Jugendlichen solche Ausmaße erreicht, dass Lachgas nun als Droge gilt. In Frankreich ist die Abgabe an Minderjährige verboten. Hierzulande warnen Ärzte schon länger vor der schrankenlosen Erhältlichkeit des geruchs-, wie farblosen Gases und fordern Reglementierungen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat Schritte dazu angekündigt. Ein Schlaglicht auf den Trend von Lachgas als Partydroge hat zuletzt ein tragischer Fall aus Karlsruhe geworfen. Dort wurde Anfang April eine 75-Jährige durch eine Gaskartusche erschlagen, die ein 13-Jähriger aus dem 14. Stock eines Hochhauses geworfen haben soll.

Lachgas ist billig und schnell verfügbar“, weiß Ute Hannemann von der Drogenhilfe der Stadt Ludwigshafen: „Es ist immer mal wieder Thema, hat aber noch nicht den Stellenwert bei uns.“ Die Betonung liegt auf noch, denn: Kartuschen für Sahnespender, die Lachgas als Treibmittel enthalten, gebe es in nahezu jedem Drogerie- und Supermarkt. Noch leichter an den Stoff komme man durch Kartuschen, die man in Kiosken, an Automaten oder online erwerben könne. „Die Wirkung stellt sich sofort ein, für viele macht gerade das den Reiz aus. Man muss nicht warten“, meint Hannemann. Sie registriert eine „Wellenbewegung“. Taucht etwas neu auf, steigt der Konsum an, bevor er wieder sinkt. Womöglich. Vor Jahren habe sie Ähnliches erlebt mit Treibgas aus Deos.

Kaum Fälle bekannt

Die weiterführenden Schulen in Frankenthal haben nach eigenen Angaben noch keine Vorfälle mit Lachgas registriert. Das kann Christiane Lehr bestätigen. Der Sozialpädagogin bei der Suchtberatungsstelle Frankenthal, die auch den nördlichen Rhein-Pfalz-Kreis betreut, sind aktuell keine Lachgas-Fälle bekannt. Dennoch finde sie den Konsum bedenklich und würde es begrüßen, wenn ihm ein rechtlicher Riegel vorgeschoben würde. Über die regionale Nutzung des zweckentfremdeten Narkotikums macht sich Lehr keine Illusionen: „Wenn Lachgas woanders Sache ist, dann ist es das auch bei uns.“

„Das Thema ist noch nicht wirklich bei uns angekommen“, glaubt Martin Hügel von der Suchtberatungsstelle Nidro in Speyer. Seiner Einschätzung nach wird Lachgas mehr als „Beifang“ konsumiert, will heißen: „Jugendliche treffen sich, rauchen Shisha oder kiffen und trinken Alkohol, und jemand hat noch so eine Kartusche dabei. Dann wird das eben auch ausprobiert.“ Explizit angesprochen bei der Suchtberatung werde das Thema von Jugendlichen äußerst selten. Womöglich, weil Lachgas als harmlos gelte, da der Rausch schnell verfliege. Lustig finde er die Geschichte nicht: „Die Industrie hat hier offenbar einen neuen Absatzmarkt entdeckt.“ Sie heize den Verbrauch an durch hip designte Kartuschen. Es gebe sogar Gebinde in Zwei-Liter-Größe. Hügel: „Da bekomme ich echt einen Hals.“

Funde auf Schulhöfen

„Der Konsum ist schon Gesprächsstoff. Es werden Kartuschen auf Plätzen und in Schulhöfen gefunden“, berichtet Stefanie Fischer, Sozialpädagogin bei der Suchtprävention der Diakonie in Ludwigshafen, die Betroffene aus der Stadt und dem Umland berät. Allerdings finde der Konsum wohl eher beiläufig statt, meint auch Fischer. Dennoch treibt das Thema sie um. Denn Lachgas sei zu leicht zu bekommen: „Das suggeriert, dass es ungefährlich ist.“ Das sei aber keineswegs so. In Dänemark habe es 70 Vergiftungen mit Lachgas gegeben, in Frankreich 120, sagt Fischer. Baden-Württemberg hat erst vor wenigen Tagen Zahlen zum Lachgas-Konsum im Ländle vorgelegt: Demnach war im vergangenen Jahr Lachgas „mitursächlich“ an fünf Todesfällen.

Warum mit Lachgas nicht zu scherzen ist, kann Professor Wolfgang Zink erklären. Als Chefarzt der Anästhesie am Klinikum Ludwigshafen ist der Umgang mit Narkosemittel sozusagen das tägliche Brot für ihn. „Lachgas wird bei verschiedenen medizinischen Therapien eingesetzt“, erläutert er und nennt beispielsweise die Geburtshilfe und die Zahnheilkunde. Zuvor schon als Jahrmarkt-Jux bekannt, habe der Einsatz im 19. Jahrhundert die Medizin vorangebracht, gerade die Chirurgie. Inhaliert entfalte es eine narkotisierende, Angst lösende, Schmerz betäubende Wirkung – und eine euphorisierende dazu.

Folgen für mehrere Organe

Doch seien die heutzutage verwendeten Dosierungen von 30 bis 50 Prozent der Atemluft ganz andere, als wenn Lachgas aus Kartuschen oder über den Umweg Luftballon eingeatmet würde: „Da reden wir von 100 Prozent.“ Problematisch ist das, weil Lachgas in der Lunge Sauerstoff verdrängt. „Das birgt die Gefahr einer Hypertoxie.“ Mit Sauerstoffmangel sei nicht zu spaßen, mahnt Zink: „Das kann zu Organschäden führen, vor allem im Gehirn.“ Der Rausch könne auch ohne das Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindelgefühle und Ohnmacht zeigen. Während des Rausches sei man ja auch nicht „Herr seiner Sinne“, beschreibt es Zink. Schlimme Unfälle seien dadurch möglich. Eindringlich warnt der Anästhesist, Lachgas direkt aus der Kartusche einzuatmen. Die stehe unter hohem Druck. Das freiwerdende Gas weise eine Temperatur von minus 50 Grad auf. Verbrennungen auf der Haut, eine Vereisung der Atemwege und irreparable Lungenschäden folgten. Dass jeder so einfach an den benebelnden Wirkstoff rankomme, sehe er „sehr kritisch“.

Marko Mohorovicic, Leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendmedizin am Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus in Speyer, kann sich den warnenden Worten nur anschließen. Zwar seien im „Diak“ „wissentlich noch keine Patienten wegen Gesundheitsproblemen nach Lachgas-Konsum behandelt“ worden. Doch könne Distickstoffmonoxid bei längerfristigem, regelmäßigem Konsum den Vitamin-B12-Stoffwechsel beeinträchtigen. Die Folge: Das Nervensystem wird geschädigt. „Das kann zu Bewegungs- und Koordinationsstörungen führen oder zu Missempfindungen und Taubheitsgefühl“, sagt Mohorovicic: „Auch eine Auswirkung auf die Bildung von Blutzellen ist möglich.“

Einen ganzen Schreckenskatalog an körperlichen Nebenwirkungen listet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie auf, von Hirnschäden bis Blutarmut. Eigentlich gute Gründe für den Gesetzgeber, die Verfügbarkeit von Lachgas zu limitieren. Und für die Polizei, den Konsumenten auf die Finger zu klopfen. Doch in Fällen wie dem 18-Jährigen Lachgas-Freund in Speyer sind die Mittel der Beamten begrenzt. Man könne „sensibilisierende Gespräche“ führen, teilen sie mit.

x