Speyer Mit Sam in Gesellschaft

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„Ich war es gewohnt, unter Leuten zu sein, ich brauche das.“ Der Speyerer Gerhard Hartmann kommt viel rum, obwohl er seit Jahren erblindet ist. Der 59-Jährige wirbt für soziale Teilnahme von Sehbehinderten und für ein barrierefreies Speyer.

Sein Terminplan sei voll, sagt Hartmann. Mit Bus und Bahn fahre er fast überall hin, „von Schweigen-Rechtenbach bis Nierstein“. Einst steuerte er als Schausteller Lastwagen, bis es vor fast 20 Jahren die Sehkraft nicht mehr zugelassen habe. Die Erbkrankheit Retinitis pigmentosa (RP) nahm ihm nach und nach das Augenlicht. Seit gut sieben Jahren ist Labrador Sam Hartmanns ständiger Begleiter. „Ohne ihn könnte ich nicht aus dem Haus.“ Einst fuhr der gebürtige Rhodter, der seit 1980 in Speyer wohnt, mit Süßwarenstand und Kinderkarussell von Festplatz zu Festplatz, heute ist er als Rentner für die Blindenwerkstätte Dudenhofen ehrenamtlich in der Region unterwegs. Er besucht Kunden, um Aufträge für Blinde zu erhalten. Mit seiner Tätigkeit sichere er Jobs und biete Sehbehinderten Möglichkeiten sozialer Teilhabe, betont Hartmann, der mit seiner Lebensgefährtin in Speyer-West lebt. „Und auch Sam hat Arbeit“, fügt er schmunzelnd hinzu. Auch im Verband für Blindenführhunde, im Blindenverband als Delegierter für den Bereich Speyer/Germersheim, in einem Sozialverband und in einer RP-Selbsthilfe ist Hartmann aktiv. Kürzlich referierte er vor Schülern in Hanhofen. „Viele Blinde gehen nicht mehr raus, haben kaum Gesellschaft“, bedauert er. Deshalb sei es wichtig, dass er für ihre Belange werbe. Bedarf gebe es genug. Das reiche von der Reaktion auf neue Gesetze bis hin zu Straßenbau-Projekten in Speyer. „Ich werde von der Stadtverwaltung gefragt, wenn es um Barrierefreiheit geht“, berichtet er stolz. Bei der umgebauten Schützenstraße hat Hartmann einen Ortstermin mit Ratsmitgliedern absolviert, auch beim neuen „Mobilitätskonzept“ für die nördliche Kernstadt hat er beraten. Als es kürzlich im Bauausschuss um dieses Thema ging, hat er als Gast Schwachstellen angesprochen: In der Salzgasse sei beim Umbau ein Leitsystem etwa zum Bürgerbüro hin vergessen worden („die Wasserrinne dort bringt nichts, wir bräuchten Bodenindikatoren“), vom Stadthaus zum Dom laufe er „in ein leeres Loch“. Und bei den sogenannten Blindensignalampeln hinke Speyer mit gerade einmal acht Anlagen anderen Städten weit hinterher: „In Kaiserslautern gibt es 72.“ Am Friedhof, an St. Bernhard und an der Kreuzung Iggelheimer/Kurt-Schumacher-Straße, da müsse zuerst nachgebessert werden, sagt er. Und: Am Speyerer Hauptbahnhof gebe es weder Lautsprecherdurchsagen noch dauerhaft funktionierende Aufzüge. Auf seinen Wegen durch Speyer könne er sich längst nicht immer auf Routen mit Signalampeln verlassen, so Hartmann. Aber er habe ja seinen Führhund. „Ich sage nur: Sam, nach Hause, und dann führt er mich.“ Hartmann schwärmt von seinem ebenso gutmütigen wie gelehrigen Tier, das ihn etwa auch zielsicher zu Steig 3 des Busbahnhofs führe. Fast zwei Jahre habe die Ausbildung gedauert, in ein, zwei Jahren dürfe Sam in „Rente“. Ein Nachfolger gehe schon in die Lehre. Auch seine Mutter sei blind gewesen, berichtet Hartmann von der Erbkrankheit, die bei ihm mit 30 Jahren entdeckt worden sei. Sein sechs Jahre älterer Bruder sei ebenfalls betroffen – bei abgeschwächtem Verlauf. „Es fängt mit Nachtblindheit an, man verdrängt anfangs vieles“, sagt er. Als er aber seinem Beruf nicht mehr nachgehen konnte, da sei es „schwierig geworden“. Eine Umschulung sei nicht möglich gewesen, so sei er verrentet worden. Im Ehrenamt habe er wichtige Aufgaben gefunden: für die Blindenwerkstätte und für die Barrierefreiheit. „Da gibt es so viel zu tun, da kann ich gar nicht mehr aufhören.“

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