Speyer Speyer: Kritik wegen zu vieler Touristen

Bauernmarkt am Wochenende: Gutes, nachhaltiges Angebot oder zu viel für Speyer?
Bauernmarkt am Wochenende: Gutes, nachhaltiges Angebot oder zu viel für Speyer?

Einheimische demonstrieren gegen Touristen – Bilder wie aus diesem Sommer in Mallorca gibt es in Speyer nicht. Aber Warnungen vor „Übertourismus“ sind nicht nur in der politischen Diskussion über einen Fremdenverkehrsbeitrag hörbar. Was ist dran an der Kritik: Gibt es zu viele Touristen in Speyer? Eine Spurensuche.

Beschwerde über Menschenmassen

Irene Scheid hat sich ein Herz gefasst. „Spontan“, wie sie berichtet, hat sie einen Leserbrief geschrieben, den die RHEINPFALZ am SONNTAG abdruckte. Ihr Anliegen: Beschwerde über die „großen Menschenmassen, mit denen wir in Speyer regelmäßig zu kämpfen haben“. Sie nennt viele Beispiele, sagt, sie weiche wegen voller und zu teurer Lokale schon ins Umland aus. „Ich hätte noch viel mehr schreiben können“, sagt sie im RHEINPFALZ-Gespräch eine Woche danach. Sie sei vor 68 Jahren in der Domstadt geboren, habe die Veränderungen mitbekommen. „Es ist aus den Fugen geraten“, meint Scheid. „Das höre ich von vielen anderen auch.“

Kaffeepreis gestiegen

Wer genau hinsehe, entdecke viele Anzeichen, so Scheid. Das beginne morgens mit „drei Fünftel Autos mit auswärtigen Kennzeichen“ auf den verstopften Straßen, gehe über die Weinmesse „für auswärtige Winzer, für die wir die Straße zur Verfügung stellen“, den überlaufenen Bauernmarkt, der gegenüber dem Wochenmarkt „nur Latwerge“ als Alleinstellungsmerkmal habe, und sechs Wochen Weihnachtsmarkt („Wo gibt’s denn sowas?“) bis zu den Kaffeepreisen. Für ihren geliebten Avocado-Espresso mit Eiskugel sei der Preis binnen Jahresfrist von 3,10 auf 4,50 Euro gestiegen, einen Espresso habe sie am Münchener Rathaus günstiger bekommen als in Speyer.

Bei Übernachtungszahlen zurückgefallen

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache“, sagt Matthias Nowack, Leiter der Marketingabteilung der Stadtverwaltung. Oberbürgermeister Hansjörg Eger (CDU) stimmt zu, Rita Nitsche, Leiterin der Tourist-Info, nickt besorgt. Sie haben nicht die Kaffeepreise verglichen, jedoch die Übernachtungszahlen. Da ist Speyer etwas abgerutscht. 2016 ein Rückgang um ein Prozent, im ersten Halbjahr 2017 um weitere 3,7 Prozent. Zuvor hatte es binnen eines Jahrzehnts ein Plus von 13 Prozent gegeben, was Zehntausende Übernachtungen mehr im Jahr bedeutete. Auch bei der Bettenanzahl und -auslastung sei die Stadt seit dem Jahr 2015 leicht im Minus.

In Tourismus investieren

„Wir müssen etwas tun“, schließt Eger daraus. Es gebe in ganz Rheinland-Pfalz Alarmzeichen, während andere deutsche Regionen bei den Gästezahlen im Aufschwung seien. „Wir wachsen nicht, können froh sein, dass wir noch relativ stabil sind“, sagt der Oberbürgermeister. Seine Mitarbeiter blicken erneut besorgt. Die Tourist-Info gehe mit fünf Stellen personell „auf der Felge“. Deshalb müsse jetzt investiert werden, wofür Eger Leistungserbringer wie Gastronomie, Beherbergungsbranche, Einzelhandel und Museen um Beiträge bittet (wir berichteten). Maxime sei dabei gemäß der 2012 verabschiedeten „Tourismusstrategie 2020“ stets „Klasse statt Masse“: Touristen sollten nicht „den Raum füllen“, sondern konsumieren, beim Handel, in den Gastronomie- und Kulturbetrieben. Gerne hochwertig. „Wir sind bei den Tagestouristen und den Veranstaltungen am Rand der Kapazität“, gesteht Eger ein.

Qualität verbessern

Er kenne die zunehmenden Beschwerden in Zeiten gesellschaftlicher Individualisierung – und zwar aus allen Richtungen, sagt der OB: Zu viel los beim Bauernmarkt, zu wenig los in der Stadt, zu unstrukturiert. So in der Art. Über noch größere Rückgänge, als das Statistische Landesamt sie ausweist, klagten einzelne Anbieter. Marketingexperte Nowack erinnert sich an die Zeiten, als wenig los war, den „Urknall“ des Stadtjubiläums 1990 und den Aufstieg in der Zeit danach. Die Stadt dürfe aber nun nicht ruhen. Es gehe um die richtigen Angebote, die richtigen Zielgruppen, die richtige Werbung. Verbesserungen für Kreuzfahrtgäste, die Weinmesse sowie neue Kulturangebote verbucht er etwa auf der Habenseite. Es gehe um Qualitätssicherung und -verbesserung. „Wir wollen nicht zurückfallen in die Zeit vor 1990“, sagt Eger. Und: „Die Gefahr von Übertourismus sehe ich nicht.“ Speyer profitiere auch als Wohn- und Geschäftsstadt vom Angebot.

Gastronomie zufrieden

 Keine Alarmzeichen sieht die Gastronomie. Es müsse „nicht deutlich mehr werden“, aber die Gästezahlen sollten auch nicht zurückgehen, so Stefan Walch (Hotel „Alt-Speyer“), Kreischef im Hotel- und Gaststättenverband. Viel Verkehr, das sei ein Nachteil, der aber auch mit der Baustellenpolitik zu tun habe, sagt er. Ansonsten lebten „viele Betriebe gerade in der Innenstadt von den Touristen“. 80 Prozent Touristen, 20 Prozent Einheimische – diese Rechnung macht er für einige Lokale in der Maximilianstraße auf und sagt: „Wenn sie nur Speyerer Publikum hätten, würden sie nach vier Wochen die Türen zumachen, denn davon könnten sie die hohen Mieten nicht zahlen.“ Auch den vielseitigen Einzelhandel ohne Leerstände gäbe es wohl nicht.

Dom größter Anziehungspunkt

Lärmende Massen gar nicht vertragen könnte der Dom – dabei ist und bleibt er Speyers größte Attraktion und hat mit Kaisersaal und Aussichtsplattform neue Gästemagnete. Er sei aber „geistlicher Ort und Denkmal“, sagt Friederike Walter, Kulturmanagerin beim Bistum. Dieses tue aktuell nichts, um die Anzahl der Besucher nach oben oder unten zu beeinflussen. So gebe es seit zehn Jahren eine Kontinuität der Besucherzahlen, „die sich mit der Bestimmung des Doms als Gotteshaus gut vereinbaren lässt“. Bei den Führungen greife das Bistum steuernd ein, wenn Leute mit Hunden oder Picknick kämen, kläre es sie auf. „Ein Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt“ – das solle der Dom sein. Speyer ist es auch, wenn auch nicht unwidersprochen.

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