Zweibrücken „Es hat keinen Sinn, wenn man den Leuten das Denken abnimmt“

91-91140467.jpg

Wolfgang Niedecken nimmt kein Blatt vor den Mund. Mit ihm zu plaudern, macht Spaß. Und möglicherweise kommt es wegen des Interviews mit der RHEINPFALZ zu einer Änderung der Setliste beim Konzert von Wolfgang Niedeckens Bap am 24. November in der Saarbrücker Saarlandhalle. Aber der Reihe nach.

Simone Horn, die Presseanfragen an Wolfgang Niedecken betreut, kündigt der RHEINPFALZ einen angenehmen Gesprächspartner an: „Er redet gerne.“ Wie recht sie hat! Kaum hat man die Stimme von Bap am Telefon, beginnt der Rocksänger, der mit seiner Kölner Mundart seit 40 Jahren die Massen begeistert, mit einer Lobeshymne auf Saarbrücken. Noch bevor man die erste Frage stellen kann. Hallo, Herr Niedecken. Das ist toll, dass das Interview so kurzfristig noch funktioniert hat. Warum nicht? Die RHEINPFALZ berichtet über Ihr Konzert in Saarbrücken, auf das ich mich zugegebenermaßen sehr freue. Ja, ich freue mich auch. Saarbrücken ist immer der Burner. Saarbrücken ist der Burner? Ja, weil die Leute unheimlich herzlich sind. Es war von Anfang an immer eine unglaublich herzliche Atmosphäre im Konzert. Es ist so, ohne ich das irgendwie beleidigend meine: Es kommt mir vor, als ob ich in einem Kölner Vorort wäre. Saarbrücken spielt auch in einigen Ihrer Lieder eine Rolle. Da muss ich gleich mal fragen, ob Sie „Schrääsch hinger mir“ aus der aktuellen CD „Lebenslänglich“ spielen werden? Der Liedtext fängt mit einer Erinnerung an Saarbrücken an. Das Lied ist dann ja beim Konzert in der Saarlandhalle schon fast Pflicht. Oh Gott! (Niedecken stockt) Das ist einfach so: Ein Tourprogramm muss einen Bogen haben. Und man kann nicht allzu viele Stücke vom gleichen Genre spielen, dann geht der Bogen kaputt. Für sowas müsste man eigentlich eins der Stücke raus lassen, was praktisch auch aus diesem Genre stammt. Und dann würde man womöglich einen Fehler machen in der Programmzusammenstellung. Aber ich werde drüber nachdenken. Schön, dass sie mich daran erinnert haben. Es ist eines meiner Lieblingslieder aus „Lebenslänglich“. Ihre Hommage an den vor kurzem bei Bap ausgestiegenen Schlagzeuger Jürgen Zöller. Es ist wirklich ein Stück, das ganz, ganz vom Herzen kam. Der Jürgen hat sich auch wirklich drüber gefreut. Das ist ihm richtig in die Seele gegangen. Das muss man ja auch spielen. Ich bin mit dem Mann fast 30 Jahre bei Bap zusammen. Irgendwann hat er entschieden, dass er mal ein bisschen kürzer treten muss. Da kann ich nicht einfach sagen: „Okay, auf zum nächsten Thema.“ In aller Form muss man das ja auch mal würdigen. Vor allen Dingen: Wir sind nach wie vor wirklich gute Freunde. Wir telefonieren nahezu alle zwei Tage. Im Booklet zur Bap-Live-CD „Överall“ aus dem Jahr 2002 beschreiben Sie eine wunderschöne Szene, ebenfalls aus dem Saarland. Es geht um die Heiligen Drei Könige Keith Richards, Bob Dylan und Ron Wood und deren Schrein, der sie auf Tourneen begleitet; mit allerlei Erinnerungen im Koffer. Das ist 15 Jahre her. Wie sehr ist Bap noch Rock’n’Roll? Trinken Sie vor dem Konzert immer noch auf die Drei? Was ist in diesem Film? (Niedecken lacht) In „Överall“? Das haben wir in Saarbrücken aufgenommen, diese Szene. Oder was war das? Ich habe den Film leider nicht gesehen, aber in Vorbereitung auf das Interview das Booklet der CD gelesen. Ich meine die von Ihnen dort beschriebene Szene, wo die Feuerwehr so entsetzt war, als sie auf Ihre Heiligen Drei Könige trinken. Ach die. Jetzt weiß ich es wieder. Ja, genau. Ne, also: Diese Huldigung – wir nennen es ja Huldigung – findet nach wie vor bei jedem Konzert statt. Ich allerdings trinke in diesem Fall entweder ein Schnapsglas voll Rotwein oder ich trinke Wasser. Und die meisten nippen nur dran und geben sich den Rest dann zwischen den Zugaben. Das bleibt halt so lange da stehen. Wir spielen schon sehr konzentriert. Wenn du dir so ’nen Grappa vorher gibst, dann kommt der Gong. Der meldet sich dann beim zweiten Stück. Je nachdem, was das dann gerade für ein Song ist, führt das zur Unkonzentriertheit. Also da sind wir schon professioneller geworden, das muss man schon sagen. Über ’ne lange Zeit haben wir auf der Bühne auch weiter gehuldigt. Das ist jetzt gegessen. Das geht auch ohne. Klar. Jetzt sind Sie ja so knapp über 40 Jahre... Ich werde jetzt direkt über 70. (Niedecken schmunzelt) Genau. Kehren Sie jetzt zur Rockmusik zurück? Kann man sich wieder auf dreistündige Konzerte freuen? Wir spielen drei Stunden fuffzehn. Also es sei denn, die Leute haben keine Lust mehr. Dann spielen wir kürzer. Das hat sich bis jetzt... (Niedecken legt eine kleine Pause ein, lacht erneut) Bisher ist es immer noch alles schön voll geblieben. Bap-Konzerte unter drei Stunden – das geht eigentlich nicht. Wenn wir einmal da sind, dann kann man das ja auch ordentlich machen. Bap begleitet die Menschen seit 40 Jahren. Sie schrieben in einem anderen CD-Booklet, dass es am Anfang bei Bap darum ging, für zwei Kisten Bier zu proben... Eine Kiste! Eine! Okay. 40 Jahre später bezeichnet eine Fernsehzeitschrift Wolfgang Niedecken in der Ankündigung zu einer Dokumentation als „moralische Instanz“. Darf ich fragen, wo drinnen? (Niedecken lacht schon wieder) Ich meine, in TV-Spielfilm. Ich müsste jetzt nachschauen. Ja, das muss ich auch mal lesen. Sie sind Träger des Bundesverdienstkreuzes. Wenn man sich von jemandem, der einfach nur Rockmusik machen will, zu jemandem entwickelt, der eine Stimme hat, der man zuhört: Wie fühlt sich das an? Wird diese Verantwortung irgendwann zu groß? Ich hoffe, dass keiner denkt, ich hätte die Lösung zu irgendwas. Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, dass die Menschen weiterhin empathiefähig bleiben. Dass sie nicht verhärten. Es hat keinen Sinn, wenn man den Leuten das Denken abnimmt. Wie sollte ich? Ich bin an vielen Stellen selber ratlos. Aber wir müssen empathiefähig bleiben. Da steht und fällt unsere Kultur mit. Wenn wir alle verhärten, dann wird es nur noch Mord- und Totschlag geben. Das kann man nicht machen. Das geht nicht. Aber eine Verhärtung der Menschen findet doch längst statt. Ein Lied, das Sie heute wohl immer noch bei allen Konzerten spielen müssen, ist „Kristallnaach“. Es ist heute aktueller denn je. Wie sehen Sie das? Ja, dieser Vergleich mit der Kristallnacht selber – die Reichspogromnacht, die ja nur euphemistisch als Reichskristallnacht bezeichnet wurde – das war ja Nazisprache. Das war ja ein ganz zynischer Begriff für das, was da vorgegangen ist. Die Original-Kristallnacht ist mit nichts zu vergleichen, letztendlich. 1992 traf es Vietnamesen beziehungsweise Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Jugoslawien geflohen waren. Und jetzt sind es die Asylantenheime von Menschen, die aus Syrien geflohen sind. Was da abgeht, ist schon unglaublich bitter. Ich hätte natürlich nichts lieber, als dass dieses Lied irgendwann mal inaktuell wird. Aber das werden wir wahrscheinlich nicht erleben. Da müssen wir weiter gegenhalten. Letztendlich ist das eine Frage des Anstands. Und ich hoffe auf so etwas wie eine Koalition des Anstands innerhalb unserer Zivilgesellschaft. Das muss man als Künstler unterstützen. Wird das auf Dauer für Sie nicht zur Last? Sie und ich haben noch Konzerte wie „Live Aid“ erlebt. Sie haben sich bei einem Konzert gegen Wackersdorf als Standort für die Wiederaufbereitung von Atommüll eingesetzt. Heute ist Musik industrialisiert. Glauben Sie trotzdem immer noch an die Kraft der Rockmusik? Kann sie noch etwas bewegen? Doch, das glaube ich schon. Also: Wir machen das ja nicht, um etwas zu bewegen. Wir machen das aus uns selbst heraus. Weil’s raus muss. Weil wir das Lebensgefühl haben. Weil wir Musiker sind. Weil wir Künstler sind. Das Schönste ist halt für einen Künstler, wenn er seine Kunst aufführen darf. Ich hab’ ja Malerei studiert. Ich hab’ immer glücklich vor einer Leinwand gestanden. Ich hab das unglaublich gerne gemacht. Und so ähnlich geht es uns mit der Musik. Auch, wenn man dann damit so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl herstellen kann. Jeder von uns will ja irgendwo hingehören. Wir haben ja alle eine unglaubliche, vielleicht auch eine unbewusste Sehnsucht nach Heimat. Und Heimat ist ja nicht nur, dass man gefühlsduselig in seiner Vaterstadt sitzt und seine Muttersprache spricht. Heimat kann ja auch Zusammengehörigkeitsgefühl, erzeugt durch eine Musik, durch Kultur überhaupt sein. Das ist ja nicht nur lokal gebunden. Ich kann mir auch Heimat mitnehmen. Wenn ich irgendwo ’ne Fernreise mache und hab’ meine Musik, in der ich mich Zuhause fühle. Wir wollen alle wissen, wo wir hingehören. Das ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Jeder will wissen, wo er hingehört. Wo gehört denn Wolfgang Niedecken hin? Mit 65 Jahren dauert das Leben nicht mehr endlos lange. Man freut sich, dass immer noch neue Musik von Bap kommt. Dass neue Tourneen stattfinden. Aber man ändert sich. Mir fällt auf: Früher hat Bap gesungen „Wenn et bedde sich lohne däät“. Jetzt gibt es aber die Fortsetzung (Niedecken, ins Wort fallend). Die heißt „Dä Herrjott meint et joot met mir“. Darauf spreche ich an. Wird Wolfgang Niedecken gelassener? Hat er seinen Frieden mit Gott gemacht? Na ja, ich bin ohnehin immer schon relativ gelassen gewesen. Manchmal konnte ich mich schnell ereifern und auch schnell auf’m Tisch stehen; bei Ungerechtigkeiten. Aber die Lebenserfahrung bringt natürlich mit, dass man eigentlich merkt: Das hast du doch schon mal irgendwo erlebt. Also einmal geistig um den Block gehen und dann etwas reflektierter reagieren. Das bringt die Erfahrung halt mit sich. Was Religion betrifft: Ich bin halt restkatholisch. Der Begriff ist mir irgendwann eingefallen. Ich bin katholisch erzogen worden; trage durch meine Erziehung und durch das Umfeld meiner Familie, aus der ich stamme, das natürlich alles mit mir rum. Teilweise als Last, teilweise als Orientierung. Und ich weiß nicht, an welchen Gott ich glaube. Ich weiß auch gar nicht, ob es einen gibt. Aber wenn es den gibt, dann ist er ein Guter. Das reicht mir schon. Ich verhalte mich nach Kants kategorischem Imperativ, der runtergebrochen auf Kindersprache bedeutet: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.“ Aber wirklich: Dä Herjott meint et joot met mir. Ich kann wirklich sagen … Manchmal habe ich so Momente, da (Niedecken denkt nach, sucht nach Worten). Ich trage auch ein Kreuz um den Hals. Das trage ich nicht deswegen, weil das so schön aussieht, sondern weil ich restkatholisch bin. Wenn man Sie so reden hört, merkt man, dass Sie große Freude an dem haben, was Sie tun. Aufnehmen, Tourneen machen. Haben Sie schon Pläne für nach der Tour? Ja. Im nächsten Jahr werden wir nicht mit Bap spielen. Es sei denn, wenn irgendwas unvorhergesehenes passiert. Aber wir haben keine Bap-Tournee vor. Es kann sein, dass ich im nächsten Jahr... . Kennen Sie das „Zosamme-Alt“-Album, das ich gemacht habe? Das habe ich in Amerika, in Woodstock aufgenommen, mit amerikanischen Musikern. Julian Dawson hat das produziert. Der hat die Band auch zusammengestellt aus Musikern von den Eagles und Dylans Tourband. Das war großartig. Es kann sein, dass ich im nächsten Jahr noch mal so was mache. Aber ich weiß noch nicht wann. Und ich hab das auch mit der Plattenfirma noch nicht abgesprochen. Das kann sein, weil das hat sehr viel Spaß gemacht, damals. Es war auch ein Erfolg. Ich hab den Jungs eigentlich versprochen: Wenn das ein Erfolg wird, machen wir noch so eins. Dann würden wir uns diesen Luxus noch einmal erlauben. Und aus diesem „Zosamme-alt“-Album hat sich letztendlich auch das Märchen vom gezogenen Stecker entwickelt. Meine Solo-Alben haben auch immer einen wirklich großen Effekt auf Bap gehabt. Ich halte nix von Vier-Jahres-Plänen. Die haben schon im Sozialismus nicht funktioniert. Eins ergibt sich aus dem Anderen. Ein Mann, den Sie sehr bewundern, müsste demnächst eine Reise nach Stockholm machen. Nimmt Bob Dylan den Literaturnobelpreis entgegen? Ich finde es eigentlich unglaublich, dass der sich noch nicht gemeldet hat (Niedecken lacht sich scheckig. Zum Zeitpunkt des RHEINPFALZ-Interviews hatte Bob Dylan auf die Verleihung des Friedensnobelpreises noch nicht reagiert. Auch jetzt noch nicht klar, ob er zur Preisverleihung kommen wird). Diesen normalen Nobelpreis-Rhythmus bringt der komplett zum Stocken. Ich finde das irgendwie sagenhaft. Ich finde es auch sagenhaft, dass jetzt endlich mal – in Anführungszeichen – die „Goschnpoesie“ gewürdigt wird. Ich meine: Was hat der Mann nicht alles bewirkt? Wen hat der nicht alles dazu gebracht, sich endlich mal mit Lyrik zu befassen? Von den Stones über die Beatles. Die hätten wahrscheinlich beide bis an ihr Lebensende irgendwelche Boy-meets-Girl-Texte gesungen. Wenn sie nicht Bob Dylan getroffen hätten. Das ist schon irre, ja. Es gibt ’ne wunderschöne Geschichte, wo Dylan einen ganz wichtigen Preis – ich weiß jetzt nicht den Namen – bekommen hat. Ihm wurde von Präsident Obama ein ganz bedeutender amerikanischer Orden umgehangen. Und von wegen Dankesrede, oder so. Er hat „Thank you“ gesagt und war wieder weg. Und der Obama hat anschließend im Interview gesagt: „Ja. Aber das müsst ihr mal so sehen: Ich bin nur der Präsident von den Vereinigten Staaten. Der andere ist Bob Dylan.“ Karten Die Bap-Konzerte heute und und morgen in Ludwigshafen sind ausverkauft. Für das Konzert am Donnerstag, 24. November, 20 Uhr, in der Saarbrücker Saarlandhalle gibt es noch Karten für 40 bis 60 Euro bei Eventim, ccsaar.de und ticketonline.de.

x