Zweibrücken Schöner wohnen in der Ödnis

Will (Alexander Sasanowitsch), Johnny (Lukas Sandmann) und Tunny (Sebastian Smulders, von links) wollen der öden Kleinstadt entf
Will (Alexander Sasanowitsch), Johnny (Lukas Sandmann) und Tunny (Sebastian Smulders, von links) wollen der öden Kleinstadt entfliehen.

„S’ist nirgends so schön wie daheim“, sagt Judy Garland als Dorothy im „Zauberer von Oz“ aus dem Jahr 1939. An dieser Botschaft hat sich auch 80 Jahre später nichts geändert, nicht mal in einem Punkrock-Musical wie „American Idiot“ mit Musik von Green Day, das am Dienstagabend 600 Zuschauer in der Saarbrücker Congresshalle sahen. Green Day? Musical? Ja, funktioniert! Hat aber Schwächen.

In „American Idiot“ wird nicht Dorothy von einem Tornado aus Kansas ins zauberhafte Land Oz geweht, sondern Johnny, der jugendliche Punk mit Löchern in den Hosen, langweilt sich in Jingletown und überredet seine Freunde Will und Tunny, der Ödnis der Kleinstadt zu entfliehen. In der Großstadt wird Johnny heroinabhängig. Tunny geht zur Armee und wird in den Krieg geschickt. Will musste zuhause bleiben, weil seine Freundin schwanger ist, und er verfällt dem Alkohol. Am Ende der 100-minütigen Aufführung treffen sich die drei wieder in Jingletown. Johnny hat sogar seine Gitarre verkauft, um sich das Busticket leisten zu können. Klingt dünn? Ist es auch. Und das ist nicht mal das Problem. Aber die Erlebnisse der drei Freunde, die sich größtenteils um Frauen und Drogen drehen, plätschern so dahin, und die Wendung ist wenig überzeugend. Irgendwie erinnert das Ganze an junge Erwachsene, die von daheim ausziehen, um das große Abenteuer zu finden, und dann doch wieder bei Mama und Papa vor der Tür stehen, als das Geld alle ist und die Wäsche dreckig. Vielleicht ist das aber auch wieder nur konsequent, denn die Punks in „American Idiot“ sind nihilistische „No future“-Typen, die rumhängen, Bier trinken und masturbieren (das erwähnt Johnny gleich im ersten Satz des Stücks), keine Revoluzzer, die die Welt verändern wollen. Als zum Schluss alle Darsteller im Zuschauerraum verteilt auf den Stühlen stehen, denkt man unwillkürlich an die packende Schlussszene aus „Club der toten Dichter“, nur um den Gedanken gleich wieder zu verwerfen: Johnny, Will und Tunny hatten keinen Literaturlehrer wie John Keating, in dem 1989er Film gespielt von Robin Williams, der sie anhand der Werke großer Dichter lehrt, wie man „das Mark des Lebens einsaugt“. Sie sind einfach nur desillusioniert. Dass „American Idiot“ zum Musical wurde, liegt näher, als man denkt: Die gleichnamige, 2004 erschienene CD der US-Punks Green Day ist ein Konzeptalbum, das die Geschichte der drei Freunde erzählt. Erstaunlicherweise funktioniert das Ganze auch mit den deutschen Texten von Titus Hoffmann sehr gut, die einen sogar die englischen Originale vergessen lassen: „Boulevard of Broken Dreams“ wird zu „Scherben meiner Träumerei’n“, „When September Ends“ zu „When der Herbst beginnt“. Leider versteht man nicht alle Texte, und der Sound der sechsköpfigen Band, die einen großen Teil der nur mit sechs Stühlen und zwei Sofas dekorierten Bühne einnimmt, wird vom zu lauten Schlagzeug dominiert. Die rotzige Punk-Gitarre, ein Markenzeichen von Green Day, bleibt furchtbar leise im Hintergrund. Und so sind es ausgerechnet bei dem Punkrock-Musical die stilleren Songs, die die meiste Freude machen. Und natürlich Helena Lenn, die als Wills schwangere Freundin Heather zwar nur eine Nebenrolle hat, aber mit ihrer soulig-angehauchten Rockröhre gesanglich alle anderen übertrifft. „Und tschüss!“ heißt das letzte Stück des Abends, als Epilog, nachdem sich die Darsteller schon verabschiedet haben. In der deutschen Fassung von „Good Riddance (Time of Your Life)“ singen da alle zusammen „Die Welt ist unvorhersehbar, doch letztlich gut, so weit. Wir hatten eine echt geile Zeit!“ Gut, so weit, mag „American Idiot“ durchaus sein. Echt geil leider nicht. Und so macht man sich etwas zwiegespalten auf den Heimweg. Aber wie sagte schon Judy Garland vor 80 Jahren? „S’ist nirgends so schön wie daheim!“

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