Leitartikel Damit Züge pünktlich kommen: Soll der ICE nur noch 200 fahren?

Auf der Schnellstrecke Köln–Rhein/Main kann der ICE mit bis zu Tempo 300 fahren.
Auf der Schnellstrecke Köln–Rhein/Main kann der ICE mit bis zu Tempo 300 fahren.

Der Vorsitzende der größten deutschen Eisenbahnergewerkschaft schlägt vor, die Höchstgeschwindigkeit im ICE-Verkehr auf Tempo 200 zu senken. Das soll die Pünktlichkeit verbessern. Die Idee ist reichlich unausgegoren.

Verspätete Züge sind spätestens seit der Blamage der Deutschen Bahn (DB) während der Fußball-EM ein Dauerthema in den Medien. Wer originell klingende Ideen für einen pünktlichen Bahnbetrieb hat, kann sich derzeit der Aufmerksamkeit des Publikums sicher sein. Das zeigt nun auch der Wirbel, den Martin Burkert, Chef der größten deutschen Eisenbahnergewerkschaft EVG, mit einem Vorschlag ausgelöst hat, der für viele erst einmal wie eine ziemlich absurde Schnapsidee klingt.

Burkert ist nicht nur EVG-Chef, sondern auch stellvertretender Vorsitzender des DB-Aufsichtsrats, der eigentlich wissen müsste, wovon er redet. In einem Interview des Deutschlandfunks ging es eigentlich primär um viel relevantere Themen, aber ein langsamer ICE eignete sich wohl besser für eine Schlagzeile als die komplizierten Zusammenhänge zwischen DB-Eigenkapitalerhöhung und Trassenpreisen.

Zusätzliche Fahrzeitreserve kann sinnvoll sein

Weil das Thema in dem Interview nicht vertieft wurde, blieb unklar, was Burkert genau gemeint hat. Dass Züge pünktlicher fahren, wenn ihr Tempo reduziert wird, klingt nach offensichtlichem Unsinn. Gemeint hat Burkert wahrscheinlich etwas anderes, nämlich dass bei der Berechnung der Fahrzeiten nur noch Tempo 200 zugrunde gelegt wird und sich so eine zusätzliche Fahrzeitreserve für den Fall von Verspätungen ergibt. Wenn deshalb etwa die Fahrzeit zwischen Fulda und Hannover um 10 Minuten verlängert wird, ließen sich 10 Minuten Verspätung aufholen, wenn der ICE Tempo 250 statt der eingeplanten 200 fährt. Das wäre immerhin ein diskutabler Vorschlag, der allerdings auch nicht richtig durchdacht ist.

Im ICE-Verkehr wird fast nur auf Neubaustrecken schneller als Tempo 200 gefahren, meist 250, teilweise auch 300. Diese Schnellstrecken hat der ICE weitgehend für sich. Normalerweise gibt es hier keinen Mischbetrieb mit Güterzügen. Deshalb sind im Regelfall die Neubaustrecken diejenigen Abschnitte im DB-Netz, auf denen die wenigsten Verspätungen entstehen. Viel problematischer sind vor allem die großen Knoten und deren Zulaufstrecken, bei denen ein bedarfsgerechter Ausbau versäumt wurde.

Große Tempounterschiede reduzieren Kapazität

Ein Faktor, der in manchen Fällen dafür sprechen kann, hohe Geschwindigkeiten zu reduzieren, sind knappe Streckenkapazitäten. Große Tempounterschiede kosten Kapazität. Die Leistungsfähigkeit einer Schienenstrecke ist dann am größten, wenn alle Züge gleich schnell fahren. Gerade auf den mit über Tempo 200 befahrenen Neubaustrecken ist das aber meist kein Problem, weil dort kaum langsamere Züge unterwegs sind.

Wenn es irgendwo sinnvoll wäre, das ICE-Tempo auf 200 zu reduzieren, dann am ehesten auf der Strecke von Berlin nach Hamburg, weil es hier Mischbetrieb mit Regional- und Güterzügen gibt. In manchen Fällen können etwas längere ICE-Fahrzeiten das kleinere Übel sein, vor allem, wenn dadurch Regionalzügen zeitraubende Überholungen erspart bleiben. Allerdings haben längere ICE-Fahrzeiten oft über die direkt verlorenen Minuten hinaus den Effekt, dass Anschlüsse verloren gehen. In manchen Fällen muss man das notgedrungen in Kauf nehmen. Aber nötig ist stets eine sorgfältige Abwägung in jedem Einzelfall. Eine pauschale ICE-Temporeduzierung ist dagegen keine gute Idee.

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