75 Jahre Bundestag „Der nächste Redner ist eine Dame ...“

Einer der Lautesten: SPD-Fraktionsführer Herbert Wehner brachte es im Bonner Bundestag auf 58 Ordnungsrufe.
Einer der Lautesten: SPD-Fraktionsführer Herbert Wehner brachte es im Bonner Bundestag auf 58 Ordnungsrufe.

Der Bundestag – 75 Jahre Leidenschaft, Wegweisendes und Kokolores.

„Schwatzbude“, „Palaverment“, „Abnickbude“ – dem Bundestag wurde im Laufe der Zeit schon so manches Etikett aufgeklebt, meistens mehr oder weniger ironisch. Doch das Herz der Demokratie hat sich wacker gehalten. Seit exakt 75 Jahren wird dort debattiert, agitiert und sogar philosophiert. Am 7. September 1949 um 16.05 Uhr versammelten sich in Bonn in der einstigen Turnhalle der Pädagogischen Akademie die ersten nach dem Zusammenbruch Hitler-Deutschlands gewählten Abgeordneten, um „unser Vaterland einer neuen Blüte und neuem Wohlstand entgegenzuführen“, wie es Alterspräsident Paul Löbe (SPD) bei der Eröffnung der Sitzung formulierte.

Schon nach fünf Tagen legte der erste Abgeordnete sein Mandat nieder – aus gutem Grund: Es war Theodor Heuss (FDP), der am 12. September 1949 zum ersten Bundespräsidenten gewählt wurde.

Über 4500 Plenarsitzungen

Mehrmals ist das Parlament umgezogen, es wurde stetig größer, blieb aber seiner Bestimmung treu, über die zentralen Zukunftsfragen des Landes zu entscheiden. Die Bundestagsverwaltung hat ausgerechnet, dass von Beginn an 177.813 Reden in insgesamt 4527 Plenarsitzungen gehalten wurden, wobei diejenige über die Ostverträge im Februar 1972 satte 22 Stunden dauerte.

Bis heute sind die Debatten hitzig, leidenschaftlich, aber zuweilen auch anstrengend kleinkariert und rhetorisch mangelhaft. Nicht alle Plenarsitzungen machten Schlagzeilen wie jene über den Nato-Doppelbeschluss oder den Umzug von Bonn nach Berlin nach der Wiedervereinigung. Doch Sternstunden gibt es immer wieder, vor allem, wenn es um große gesellschaftspolitische Fragen geht wie die Reform des Abtreibungsparagrafen 218 oder die Sterbehilfe.

Adenauer hält einen Rekord

Der Frauenanteil unter den Abgeordneten ist mit gegenwärtig 35 Prozent nach wie vor niedrig und zeigt eine Schwäche des Bundestages. In den Anfangsjahren waren Parlamentarierinnen in den Köpfen so mancher Herrschaften gar nicht vorgesehen. So kündigte der erste Bundestagspräsident Erich Köhler 1950 die Abgeordnete Anne Marie Heiler mit den Worten an: „Der nächste Redner ist eine Dame.“ Den Altersrekord hält übrigens immer noch der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), der bei seinem Ausscheiden aus dem Parlament 89 Jahre alt war.

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