Meinung EU-Asylpolitik: Solidarität in Gefahr

Polnische Soldaten bewachen die Metallbarriere an der Grenze zu Belarus.
Polnische Soldaten bewachen die Metallbarriere an der Grenze zu Belarus.

In Europa verschärfen immer mehr Staaten ihre Asylgesetzgebung. Auch wenn jedes Land eine gute Erklärung hat, bedrohen Alleingänge den Zusammenhalt der EU.

In Sachen Asyl ist in Europa derzeit ein Unterbietungswettbewerb im Gange. Wie auf einem Jahrmarkt brüsten sich selbst aufrechte Demokraten mit immer neuen Ideen, welche Menschenrechte zuerst beschnitten werden sollen. Natürlich hat jede Regierung eine einleuchtende Erklärung für ihre härtere Gangart gegenüber den ankommenden Migranten. Italien transportiert Asylsuchende inzwischen nach Albanien, wo in speziellen Lagern über ihre Zukunft entschieden wird. Zehntausende Menschen kommen seit Jahren auf seeuntüchtigen Booten über das Mittelmeer, zu lange wurde Rom von den Nordeuropäern mit diesem immer größer werdenden Problem einfach alleingelassen.

Auch die Ankündigung Polens, das Asylrecht auszusetzen, war abzusehen. Warschau kämpft an vorderster Front in einem hybriden Krieg gegen Russland und Belarus, die gezielt Migranten über die polnische Grenze schleusen und so die EU destabilisieren wollen. Und selbst Deutschland, dessen moralischer Zeigefinger oft besonders hoch in die Luft gereckt war, hat sich den Realitäten gebeugt. Nach dem Solingen-Attentat waren Zurückweisungen und Grenzkontrollen plötzlich kein Tabu mehr.

Von der Leyen will nachbessern

Der im Frühjahr von den EU-Staaten mühsam ausgehandelte Asylkompromiss scheint inzwischen nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem er gedruckt wurde. Ungarn und die Niederlande haben bereits angekündigt, aus dem Vertrag aussteigen zu wollen. Und selbst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht noch vor dessen Inkrafttreten die Notwendigkeit, nachzubessern. Sie hat einen neuen Gesetzentwurf zur Abschiebung von Migranten angekündigt. Europas moderate Kräfte müssen diesem drohenden Kahlschlag der Asylgesetze und den Alleingängen der Staaten Einhalt gebieten. Denn damit könnte ein Teufelskreis der Radikalisierung in Gang gesetzt werden, der am Ende die gesamte EU gefährdet. Die extremen Nationalisten wittern ihre Chance, in dieser Krise die Fundamente des Zusammenhalts zu erschüttern. Die Europäische Union aber zieht ihre große Stärke daraus, dass Probleme im Konsens gelöst werden. Das ist eine der fundamentalen Errungenschaften nach den beiden Kriegen, die den gesamten Kontinent einst in Schutt und Asche gelegt haben.

Arbeitskräfte werden dringend gebraucht

Brüssel muss beweisen, dass dieses Miteinander auch bei dem schwierigen und zu lange ignorierten Thema Migration gelingt. Wichtig ist es dabei, ehrlich zu den Bürgern zu sein. Denn anders als es die extremen Rechten und Linken versprechen, wird es den einfachen, schnellen, großen und gerechten Wurf nicht geben. Will Europa das Problem an der Wurzel anpacken, müssen nicht nur die Transitländer, sondern auch die Herkunftsstaaten der Geflüchteten Ausgangpunkt der Überlegungen sein.

Ziel muss eine interessengeleitete Migrations- und Entwicklungspolitik der EU sein. Mit Anreizen und auch einem gewissen Druck müssen die Staaten dazu bewegt werden, die Menschen wieder zurückzunehmen, die in Europa keinen Anspruch auf Asyl haben. Gleichzeitig müssen den Menschen aus armen Ländern klare Wege aufgezeigt werden, wie sie nach Europa kommen können, um dort zu arbeiten. Denn Arbeitskräfte werden dringend gebraucht.

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