Leitartikel Grüner Befreiungsschlag: Die Parteispitze tritt ab

Verabschieden sich: Die Parteivorsitzende Ricarda Lang und Omid Nouripour.
Verabschieden sich: Die Parteivorsitzende Ricarda Lang und Omid Nouripour.

Das Grünen-Spitzenpersonal hat es nicht geschafft, die Partei in einer sich rasant wandelnden Welt neu zu positionieren. Den Neuen bleibt noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl.

Gegrummelt hat es schon länger bei den Grünen. Der Rücktritt des Führungspersonals kam daher nicht komplett überraschend. Er ist richtig. Es geht ums politische Überleben der Grünen. Die Führungsriege hatte dem heftigen Gegenwind, der den Grünen entgegenschlägt, am Ende zu wenig entgegenzusetzen. Da wurden eher die Einschätzungen des alten Schlachtrosses Jürgen Trittin, der im Januar 2024 freiwillig aus dem Bundestag ausschied und früher Bundesumweltminister war, zur Kenntnis genommen als die Worte der Ricarda Lang oder des Omid Nouripour.

Die aktuelle Situation ist völlig neu für Bündnis90/Die Grünen – weil die Fallhöhe extrem hoch ist. Sicher, auch in der Vergangenheit sind die Grünen bei Wahlen schon im einstelligen Prozentbereich herumgekrebst wie jetzt im Osten. Die West-Grünen sind 1990 sogar aus dem Bundestag geflogen, als sie im Wahlkampf nach der deutschen Wiedervereinigung aufs „falsche“ Thema setzten: Klimaschutz. Die anderen redeten über Lösungen für die gesellschaftlichen Verwerfungen wegen der Einheit.

Viele Kröten geschluckt

Lange pflegten die Grünen ihr Image als Anti-Parteien-Partei. Heute ist das komplett anders. Die Grünen sind so staatstragend wie kaum eine andere deutsche Partei. Hätten sie sich verhalten wie die FDP – also Gesetzen im Kabinett zustimmen, um diese hinterher wieder zu blockieren –, wäre die Ampel längst auseinandergeflogen. Doch die Grünen sind in der Regierung bei der Stange geblieben. Ohne Pathos lässt sich feststellen: Ihnen ging es darum, dass in Deutschland keine Staatskrise entsteht. Doch dieses Stillhalten hat sich für die Grünen nicht ausgezahlt. Im Gegenteil. Weil sie Kröten geschluckt haben, haben sich im Lauf der Ampeljahre Verbündete und Wähler abgewendet. Vor allem jüngere.

Das eigentliche Problem freilich ist ein ganz anderes. Und es hat nicht nur mit der deutschen Politik zu tun, sondern mit der gesamten (westlichen) Welt. Siehe Amerika. Siehe Ungarn. Siehe Frankreich. Das Pendel, das lange in Richtung liberaler, offener und bunter Politik zeigte, schlägt nun heftig nach der anderen Seite aus. Ins Autoritäre, Nationalistische. In Deutschland ist das besonders abzulesen am Aufstieg der AfD.

Bäume und Bienen

Dabei wurde noch vor drei Jahren, bei der letzten Bundestagswahl, moniert, dass die Grünen sozusagen die Vorherrschaft im Diskurs übernommen hätten. Dass die anderen Parteien viel (zu viel) vom Programm der Grünen übernommen hätten. Doch davon ist nichts mehr übrig. Man denke nur an den bayerischen Söder Markus, der sich vor wenigen Jahren noch um Bäume und Bienen sorgte – und jetzt lautstark darauf pocht, dass seine Parteienfamilie CDU/CSU auf keinen Fall mit den Grünen eine Koalition eingehen dürfe.

Die Grünen sind von solchen Parolen – die dazu dienen, ein paar Stimmen mehr vom rechten Rand abzufischen – regelrecht in die Enge getrieben worden. Das Vorstandspersonal wirkte hilflos. Die Grünen, die 2021 lautstark verkündeten, die neue Volkspartei sein zu wollen, stehen alleine da. Ihre Gegenrezepte klingen in den Ohren vieler Bürger zu kompliziert.

Zeitgeist ist nicht grün

Es sind denn auch nicht die schlechten Ergebnisse bei den ostdeutschen Landtagswahlen, die den Neuanfang der Grünen erzwingen. Im Osten waren sie noch nie stark. Es ist die Aussicht, bei der Bundestagswahl regelrecht unterzugehen. Nun bleibt genau ein Jahr, um das Ruder wieder herumzureißen. Das neue Grünen-Führungspersonal braucht dafür allerdings nicht nur Kraft. Es braucht auch ein Quäntchen Glück. Denn der Zeitgeist ist gegen die Grünen.

Zum Thema: Das grüne Beben

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