Leitartikel Im Osten bahnt sich nach den Wahlen Chaos an
Deutschland stehen politisch schwere Zeiten bevor. Im Ausland wurden die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen aufmerksam beobachtet. So lautete die Schlagzeile in einer US-Zeitung mit Blick auf die AfD: „Eine rechtsextreme Partei, deren Führer wohlwollend über die Nazis sprechen, hat zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg die Wahl in einem Bundesland gewonnen – und in einem weiteren Bundesland wurden sie ganz knapp zweitstärkste Kraft“.
Endgültig ist klar geworden, dass eine Entwicklung, die andere europäische Länder schon vor Jahrzehnten erfasst hat, nun auch in Deutschland mit voller Wucht angekommen ist: Die traditionelle Parteienlandschaft zerbröselt; charismatische Führungsfiguren gründen neue Parteien, die extreme Rechte wird stärker.
Anderes Verhältnis zu den Parteien
Nach der Wende glaubte man: Wenn sich die „Ossis“ im westlichen System eingerichtet haben, werden sie wie die „Wessis“. Doch Pustekuchen! Verdrängt worden ist beispielsweise, dass die Menschen im Osten ein ganz anderes Verhältnis zu den Parteien haben als die im Westen. Das zeigt sich am Beispiel der Grünen, der vielleicht „westlichsten“ Partei. Die Grünen sind postmaterialistisch, sie machen sich für Minderheiten stark – sie denken über den Alltag hinaus. Doch gerade Alltagssorgen bewegen Menschen im Osten am meisten.
Auch die Tatsache, das man gerne einfach „die Grünen“ schreibt, lässt tief blicken. Denn eigentlich heißt die Partei Bündnis90/Die Grünen. Doch die Erinnerung an die Bürgerrechtler von einst in der DDR, die zu den Grünen „rübermachten“ ist verschwunden. Geblieben sind der West-Begriff und die Sonnenblume.
Union könnte es zerreißen
Zuletzt wuchs im Westen die Einsicht „Der Osten ist anders – und wird anders bleiben“. Doch dieses Eingeständnis wurde gerade im Westen auch gerne zur Abgrenzung und Abkehr benutzt. Doch spätestens nach den Landtagswahlen im September muss klar sein: Was im Osten passiert, hat große Auswirkungen auf Gesamtdeutschland.
Das betrifft besonders jene große Partei, die vordergründig den rasenden Veränderungen getrotzt hat. Die sich selbst als letzte verbliebene Volkspartei in Deutschland bezeichnet, als das „letzte Bollwerk gegen rechts“: die CDU. Doch die anstehende Regierungsbildung in den Ostländern – Brandenburg kommt demnächst noch dazu – birgt das Potenzial, die Union zu zerreißen.
Auch weil sich die Christdemokraten sozusagen eingemauert haben. 2018 haben sie Unvereinbarkeitsbeschlüsse zur Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch mit der Linkspartei gefällt – und um des innerparteilichen Friedens willen beide Parteien in einen Topf geworfen.
Absurde Situation in Thüringen
Jetzt aber kommt es in Thüringen zur absurden Situation, dass eine Mehrheitsregierung ohne AfD nicht möglich ist – außer über die Zusammenarbeit mit dem kläglichen Rest der SPD, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und eben der Linkspartei. Einer Linkspartei, die unter Ministerpräsident Bodo Ramelow konservative Politik gemacht hat. Doch von nicht wenigen in der CDU wird argumentiert: Gegen das BSW (von dem man nicht weiß, für was es steht) gibt es keinen Unvereinbarkeitsbeschluss, ergo kann man zusammenarbeiten. Vielleicht in einer Minderheitsregierung.
Über die Politik der Ampel im Bund mit ihren verfeindeten Koalitionären wird viel gelästert – allen voran von der CDU. Doch die Konstellationen, die eventuell im Osten entstehen, könnten das Ampel-Gewürge in den Schatten stellen. In einem Jahr ist Bundestagswahl. Wer wohl würde vom Chaos profitieren?