Interview Justizminister Buschmann: „Deutschland ist nicht erpressbar“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht keine gesteigerte Gefahr von politischen Geiselnahmen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht keine gesteigerte Gefahr von politischen Geiselnahmen.

Als Justizminister hatte Marco Buschmann ein gewichtiges Wort beim Gefangenenaustausch mit Russland. Im Interview spricht der FDP-Politiker über die schwerste Entscheidung seines politischen Lebens.

Herr Buschmann, als Justizminister sind Sie ein Mann des Rechts. Wadim Krassikow, als Tiergartenmörder bekannt, hat Recht gebrochen, mitten in Berlin. Dafür hat ihn ein deutsches Gericht zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt. Seit einer Woche ist er frei. Was haben Sie gedacht, als Sie ihn in den Armen von Wladimir Putin gesehen haben?
Ein Regierungschef herzt einen Killer – von dem seine Regierung noch vor Kurzem behauptet hat, man habe nichts mit ihm zu tun. Diese Bilder sagen alles über Putin: Er ist ein Mann, der jedweden Anstand verloren hat. Zugleich zeigen die Bilder den Preis, den wir gezahlt haben, um 16 Menschen ein neues Leben in Freiheit zu ermöglichen.

Sie hatten qua Amt ein gewichtiges Wort bei diesem Deal, haben den Generalbundesanwalt Jens Rommel angewiesen, Krassikows Haftstrafe auszusetzen. Wie haben Sie abgewogen?
Das war eine schwierige Abwägung. Denn auf der einen Waagschale lag das schwerwiegende Interesse daran, dass ein verurteilter Mörder seine gerechte Strafe auch absitzt. Doch in dieser einzigartigen Situation lagen auf der anderen Waagschale eben auch gewichtige Interessen, die in Summe meiner Ansicht nach schwerer wogen.

Welche konkret?
Vor allem die Schutzpflicht des Staats gegenüber seinen eigenen Staatsbürgern. Wir konnten fünf deutsche Staatsangehörige befreien; einem von ihnen hatte in Belarus sogar die Todesstrafe gedroht. Ins Gewicht fiel zweitens unser Interesse am transatlantischen Bündnis: Die USA sind unser wichtigster Verbündeter. Sie hatten ein großes Interesse daran, dass der Austausch gelingt. Drittens fiel ins Gewicht, dass wir die Chance hatten, wichtige Köpfe der russischen Opposition in Freiheit zu bringen – darunter den Bürgerrechtler Wladimir Kara-Mursa. Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass es eines Tages ein anderes Russland geben kann: frei, demokratisch, rechtsstaatlich.

Wie schwer ist Ihnen die Entscheidung gefallen?
Es war die schwerste Entscheidung in meinem politischen Leben. Denn es ging um Menschenleben.

Sie haben nach Bekanntwerden des Gefangenenaustauschs auf der Plattform X geschrieben: „Im Zweifel für die Freiheit.“ Wie hoch darf der Preis für Freiheit sein?
Dafür gibt es keine Rechenformel. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Entscheidung in der spezifischen Situation richtig war. Den Freigekommenen drohte das gleiche Schicksal wie Alexej Nawalny: Tod in Putins Kerkern. Es gab starke humanitäre und sicherheitspolitische Argumente für den Gefangenenaustausch.

Hat sich die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung eigentlich über das Recht hinwegsetzt?
Nein, die Politik hat streng innerhalb des Rechts gehandelt. Sonst hätte ich als Justizminister an den getroffenen Entscheidungen auch nicht mitgewirkt. Denn gerade in der Treue zum Recht müssen wir uns von Putins Russland unterscheiden. Die deutsche Strafprozessordnung sagt klar: Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann ausgesetzt werden, wenn der Verurteilte abgeschoben wird. Es ist eine Ermessensentscheidung. Von diesem Ermessen haben wir Gebrauch gemacht. Dafür hatten wir gute Gründe. Ein Übergriff in die Judikative war damit nicht verbunden: Denn das Strafurteil gegen Krassikow – Putins Killer – hat weiterhin Bestand. Sollte er jemals wieder einen Fuß nach Deutschland setzen, werden wir ihn sofort wieder verhaften und ins Gefängnis stecken.

Aus Ermittlerkreisen gibt es erhebliche Kritik an dem Deal …
Es ist eine schwer erträgliche Vorstellung, dass ein wegen Mordes Verurteilter nun frei herumläuft. Ich kann jeden verstehen, der damit unzufrieden ist. Ich bin es selbst. Es gibt eben dilemmatische Entscheidungssituationen, in denen man das kleinere Übel wählen muss. Die Gründe habe ich genannt: 16 Menschenleben, die enge Beziehung zu den USA als unserem wichtigsten Verbündeten und die Hoffnung auf ein demokratisches Russland der Zukunft, die ansonsten in Putins Gefängnissen zu verenden drohte. Diese Gründe sind stark politischer Natur. Daher hat es mich nicht überrascht, dass die Bundesanwaltschaft zu einem anderen Ergebnis gekommen ist als ich. Das kann ich sehr gut verstehen. Denn natürlich ist die Bundesanwaltschaft vor allem dem Strafverfolgungsinteresse verpflichtet. Die Berücksichtigung außen- und sicherheitspolitischer sowie humanitärer Aspekte ist in erster Linie Sache der demokratisch gewählten Regierung. Dieser Verantwortung haben wir uns gestellt.

Teilen Sie die Sorge mancher Menschen, dass dieser Deal mit Wladimir Putin Tür und Tor öffnet für die Freipressung von Verbrechern durch das Wegsperren politischer Geiseln?
Ich kann diese Sorge verstehen. Wir können auch nicht ausschließen, dass Putin sich ermutigt fühlt, weitere Personen als Faustpfand gefangenzunehmen. Doch zu einem vollständigen Bild gehört auch: Putin hat schon seit vielen Jahren alle Skrupel verloren. Putins Russland war schon vor dem Gefangenenaustausch ein extrem gefährlicher Ort für Menschen, die ihre Meinung frei sagen.

Also keine neue Gefahrensituation?
Nein, ich sehe aktuell keine gänzlich neue Gefahrensituation. Putin weiß im Übrigen genau, dass dieser Gefangenenaustausch keiner zwingenden Logik folgte: Es war eine Abwägungsentscheidung unter außergewöhnlichen Umständen, aus der sich für die Zukunft keine Erwartungen ableiten lassen. Deutschland ist nicht erpressbar. Wir entscheiden zu jeder Zeit souverän.

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