Kommentar Kabinettsumbildung: Selenskyjs zweite Front
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj baut das Kabinett in Kiew um. Das hat er schon mehrfach getan. Er hat Minister, Staatssekretäre und hochrangige Mitarbeiter der Ministerien wie der Streitkräfte geschasst, weil sie korrupt waren oder unter Korruptionsverdacht standen, weil sie Selenskyj zufolge ihrer Pflicht nicht nachkamen oder sich mit ihm überworfen hatten. Das kann er tun, weil ihm die Verfassung sehr viel Macht gibt.
Brisanz erhält das derzeitige Stühlerücken in Kiew durch die Nachricht, Außenminister Dmytro Kuleba habe seinen Rücktritt angeboten. Was den hoch geschätzten Diplomaten, der klare Worte nicht scheut, dazu bewogen hat, ist unklar. Sein Verhältnis zum Präsidenten soll zwar nicht gerade herzlich, aber vertrauensvoll gewesen sein. In Kiew brodelt die Gerüchteküche.
Die Menschen brauchen Hoffnung
Präsident Selenskyj steht unter enormem Druck. Die Menschen in der Ukraine sind nach zweieinhalb Jahren Krieg erschöpft. Die Hoffnung auf eine Wende schwindet. Er braucht dringend einen Erfolg, beispielsweise eine Genehmigung für den Einsatz weitreichender Waffen gegen Ziele in Russland. Diese war dem Westen bisher nicht abzuringen, allen Bemühungen Kulebas zum Trotz.
Selenskyj muss die Bevölkerung zusammenhalten und motivieren, ihnen Hoffnung geben. Deshalb ist vor allem politisches Fingerspitzengefühl gefragt. Die Amtszeit des ukrainischen Präsidenten ist bereits im Mai abgelaufen, der Krieg machte Wahlen bisher unmöglich. Das kratzt an der Legitimität des Präsidenten, der nach innen wie außen immer wieder beweisen muss, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in Zeiten des Krieges funktionieren. Ganz im Gegensatz zu seinem diktatorisch regierenden Widersacher Wladimir Putin.