Leitartikel Kein Land ist vor Starkregen sicher

Ein Bahnhof in Niederösterreich.
Ein Bahnhof in Niederösterreich.

Die Abfolge der Hochwasser zeigt: Die Folgen des Klimawandels gefährden Leben in jedem europäischen Staat. Ob das der neuen EU-Kommission zu denken gibt, die sich andere Prioritäten setzen will?

Der Klimawandel verändert unseren Alltag. Da ist der Bekannte, der sagt: Ich buche den Urlaub in den Alpen nur noch drei Tage vorher. Denn mehrere Male zuvor ist er reingefallen. Einmal hat es ununterbrochen geregnet, ein anderes Mal war der Ferienort wegen Fluten und Geröllabgängen nicht mehr erreichbar. Jetzt herrscht im Alpenraum, der von den Folgen des Klimawandels wie Starkregen ganz besonders betroffen ist, erneut Hochwasseralarm. Doch nicht nur dort. Auch Mittel- und Osteuropäer leiden.

Klar, Starkregen gab es früher schon. Doch die Daten der Klimaforscher sind eindeutig: Die Abfolge der Ereignisse mit Hochwasser steigt seit der Jahrtausendwende, es kommt vermehrt zu Starkregen und dabei regnet es länger. Ein Grund sind die geänderten Strömungsverhältnisse in der Atmosphäre durch den Klimawandel. Tiefs bewegen sich mitunter kaum mehr weg. Hinzu kommt, dass wärmere Luft, die aus dem wärmer gewordenen Meer aufsteigt, eben mehr Feuchtigkeit speichern kann.

Grenzen werden hochgezogen

Derzeit ist ein eigenartiges Zusammentreffen verschiedenster Ereignisse zu beobachten. Erstens: In einer Zeit, in der in Europa im Kampf gegen illegale Migration wieder Grenzen hochgezogen werden und national gestimmte Parteien bei Wahlen zulegen, zeigt sich klar: Alle Länder sind potenziell durch die Folgen des menschengemachten Treibhauseffekts betroffen. Lösungen müssen über Grenzen hinweg versucht werden. Das gilt nebenbei bemerkt im europäischen wie im internationalen Maßstab.

Zweitens: Die neue und alte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat parallel zu den Fluten ihr neues Team vorgestellt. Ob der Kampf gegen den Klimawandel zumindest in Europa effektiv geführt wird, liegt nicht zuletzt daran, wer in der Brüsseler Schaltzentrale die Hebel bedient. Doch nach dem Rechtsruck bei den Europawahlen hat die Deutsche aus taktischen Gründen einige sehr rechte Politiker zu Kommissaren bestellt. Was die Gefahr heraufbeschwört, dass wieder Schubladendenken angesagt ist: Wirtschaft kontra Klimaschutz.

Die wichtigste Frage umschifft

Die EU-Kommissionspräsidentin hat bereits klargemacht: Klimaschutz, das war in der vorigen Amtsperiode die wichtigste Aufgabe. Nun sollen es der Kampf gegen illegale Migration sowie die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas sein. Dabei hat doch nur wenige Stunden vor der Präsentation der neuen Kommissionsriege Mario Draghi, hochgelobter früherer Chef der Europäischen Zentralbank, seinen Plan für eine wirtschaftliche Renaissance Europas vorgelegt. Und dabei betont: Die Dekarbonisierung der europäischen Volkswirtschaften – also weg von Kohle, Gas und Öl – ist wichtig. Sie müsse jedoch einhergehen mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, etwa dem Bürokratieabbau.

Dabei allerdings hat Draghi elegant die Frage umschifft: Woher soll in Europa das Geld zum Umbau der Volkswirtschaften kommen? Die Regierungen müssen angesichts der vielen Herausforderungen mit Geld knapsen, bei vielen privaten Unternehmen läuft das Geschäft auch nicht mehr wie früher.

Wen trifft es morgen?

Dennoch muss auch national und konservativ gesinnten Politikern diese Wahrheit einleuchten: Die Wirtschaft kann nur gesunden, wenn die Folgen des Klimawandels beherrschbar bleiben. Wenn nicht ständig Fabriken und Infrastruktur überflutet werden. Langfristig zahlt sich Klimaschutz daher aus. Allein vom jetzigen Hochwasser sind zwei Millionen Mittel- und Osteuropäer betroffen; die Schäden gehen in die Milliarden. Und schon stellt sich die Frage: Wen wird es morgen treffen?

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