Politik „Tu, was du kannst, mit dem, was du hast“

Premieren en masse gestern im Bundestag. Sechs der zehn neuen Minister der großen Koalition bestritten ihren ersten Auftritt. Keiner von ihnen durfte sich aber so sehr freuen wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Er hatte sich in dieser Woche in einem Last-Minute-Einsatz in den USA persönlich für eine EU-Ausnahmeregelung bei den Strafzöllen eingesetzt – erfolgreich, wie es aussieht.

Den langen Reigen der Antrittsreden eröffnet am Morgen Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Er möchte offenbar von Anfang an Souveränität und Sachkunde ausstrahlen, weshalb er ohne Manuskript oder Stichwortzettel redet, das aber druckreif. In seinen ersten Amtstagen hat Scholz schon Pflöcke eingeschlagen: Den viel gelobten früheren Staatssekretär Werner Gatzer (SPD) holte er ins Ministerium zurück. Gatzer war als Chef der Bahnhofssparte bei der Deutschen Bahn tätig. Und mit dem bisherigen Investmentbanker Jörg Kukies als weiterem Staatssekretär landete Scholz einen besonderen Coup – haftet solchen Finanzjongleuren doch gemeinhin der Ruf an, einen beträchtlichen Teil zur Finanzkrise beigetragen zu haben. Scholz verliert keine Silbe über die Personalien, er stellt sich vielmehr als verlässlicher Wächter über die „schwarze Null“ vor. „Wir brauchen jetzt eine ganz lange Phase, in der wir keine neuen Schulden machen“, sagt Scholz und folgt damit der Spur, die sein Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) gelegt hat. Weniger deutlich ist der neue Finanzminister in der Frage der EU-Reformen. Es gelte, die Bankenbranche krisenfester zu machen mit Lösungen, „die sowohl Nord- als auch Südeuropäern zugute kämen“, formuliert Scholz vage. Dass Deutschland nach dem Brexit einen größeren finanziellen Beitrag in der Union leisten müsse, ist für ihn ausgemacht. Das Kontrastprogramm zur kühlen Art des Vizekanzlers ist die neue Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Auch sie regierte wie Scholz die vergangenen Jahre eine Großstadt, wenngleich mit ganz anderen Problemen als der Hanseat. Im Berliner Bezirk Neukölln mit seinen über 320.000 Einwohnern stehen vor allem soziale Fragen im Mittelpunkt. Kinderarmut, Arbeitslosigkeit oder fehlende frühkindliche Bildung sind Themen, die Giffey aus ihrer Praxis kennt. Wenn sie darüber spricht, schwingt immer auch der Respekt vor denen mit, die in Kitas, Schulen, Ausbildungsstätten, Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen täglich mehr als genug zu tun haben. Es seien noch mehr Menschen in den sorgenden Berufen notwendig, sagt Giffey. In der Erziehung wie in der Pflege müsse die Bezahlung sowie die Aus- und Fortbildung verbessert werden. Das sei auch ein Weg zur Gleichstellung von Frauen, so die SPD-Politikerin. Ihr Lebensmotto stammt vom früheren US-Präsidenten Theodore Roosevelt: „Tu, was du kannst, mit dem was du hast, wo immer du bist.“ Weniger tiefsinnig, sondern eher provozierend gestaltet Verkehrsminister Andreas Scheuer seine Antrittsrede. Der frühere CSU-Generalsekretär ist ganz auf der Linie seines Ministervorgängers Alexander Dobrindt, der Fahrverbote für Dieselautos ablehnt. Mobilität sei schließlich der „Kraftstoff“ der Wirtschaft. Scheuer wirbt für mehr Digitalisierung in der Verkehrssteuerung in Städten. Wenn die Deutschen intelligente Lösungen fänden, könnten sie diese auch an andere betroffene Länder verkaufen. „Saubere Luft als Exportschlager für die Welt, das muss unser Ziel sein“, sagt der CSU-Politiker – und erntet Hohngelächter von den Grünen und Linken. Diese fordern weiterhin technische Nachrüstungen für Dieselautos auf Kosten der Hersteller. Mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) erlebt der Bundestag zwei Redner, die wenig überraschen, da sie sich im Wesentlichen mit den Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag beschäftigen. Während Heil sich länger der Rente widmet, die „krisen- und armutsfest und stabil“ werden soll, wirbt Karliczek für die neuen Möglichkeiten des Bundes, den Ländern bei der Schulsanierung und Digitalisierung unter die Arme zu greifen. Beide Minister verbindet das Problem, dass sie vor großen Aufgaben stehen: Heil muss die Rente mit immer weniger Einzahlern organisieren, Karliczek sucht nach Lösungen, den zersplitterten Bildungsföderalismus auf einen Nenner zu bringen. Von solchen Sorgen unberührt wirkt Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wie der einzige Optimist in der Runde. Sein Plädoyer für den freien Handel erweist sich wenige Stunden später als gute Prognose. Dass die EU bei den US-Strafzöllen ausgenommen werden soll, wird nämlich erst nach seiner Rede bekannt. Punktsieg für Altmaier.

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