Meinung Viktor Orbán als EU-Ratsvorsitzender: Der Verhinderer

Viktor Orbán
Viktor Orbán

Erstmals führt ein Regierungschef den Ratsvorsitz der EU, der die Union seit Jahren mit allen Mitteln bekämpft. Dennoch will Ungarns Premier Viktor Orbán ein „ehrlicher Makler“ für die übrigen 26 Mitgliedsländer sein.

Allein das Motto, das Orbán für das nächste Halbjahr präsentierte, ist eine höhnische Kampfansage an die EU in ihrer derzeitigen Verfassung. „Make Europe great again“, der von Donald Trump abgekupferte modifizierte Spruch, verspricht nicht ein großartigeres Europa, sondern nur das Europa, wie es sich Orbán wünscht. Es wäre ein Europa der Nationalstaaten, die nur noch wirtschaftliche Beziehungen verbinden, die aber keine gemeinsamen Werte mehr teilen wie Demokratie und Rechtsstaat. Schon jetzt existiert „die EU“ in Ungarn nicht mehr, die Regierung spricht nur noch von „Brüssel“ oder über „die Brüsseler Bürokraten“.

Für die übrigen 26 Mitgliedsstaaten ist der Vorsitz eines Premierministers, gegen dessen anti-demokratische Regierung die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, eine Zumutung. Orbans Versprechen, den EU-Ratsvorsitz dennoch „wie ein ehrlicher Makler“ führen zu wollen, ist schlicht verlogen. Jeder der Schwerpunkte seines Vorsitzprogramms bietet ihm Gelegenheit, weiterhin Chaos zu stiften.

So aberwitzig es indes klingt: Orbán sorgt sich um den Rechtsstaat. Aber nicht in Ungarn, wo er ihn abgeschafft hat, sondern in der EU. In seinem Positionspapier bezweifelt er, „ob die Rechtsstaatlichkeit innerhalb des institutionellen Systems der EU eingehalten wird“. Orbán sieht im Ratsvorsitz die Chance, den Spieß umzudrehen und die EU des Unrechts gegen Ungarn zu bezichtigen, weil sie seine Politik als demokratiefeindlich und vertragsbrüchig sanktioniert. Da Orbán keine Anstalten macht, Kurskorrekturen einzuleiten, ist die Groteske nicht auszuschließen, dass erstmals ein Land ohne Stimmrecht in der EU zugleich den Ratsvorsitz führt.

Migration ist Orbáns Lieblingsthema, weil es heftig umstritten ist und er hemmungslos auf „Brüssel“ eindreschen kann. Er fühlt sich von der EU-Kommission gleich mehrfach „erpresst“. So klagt er, Ungarn wolle man zwingen, Migranten scharenweise aufzunehmen und zu versorgen. Dabei schiebt er Tausende Flüchtlinge und Migranten einfach an die Nachbarländer ab, vor allem nach Serbien zurück und nach Österreich weiter.

Auch in puncto Verteidigung könnte die Situation nicht bizarrer sein. So ermahnt der Ratsvorsitzende Orbán die EU, sich nicht allein auf „Verteidigungsallianzen“ zu konzentrieren (im Hinblick auf die Ukraine), sondern vor allem „die eigene Sicherheit“ (also die Europas) nicht aus den Augen zu verlieren.

Keiner bedroht Europas Sicherheit jedoch mehr als Orbáns Freund Wladimir Putin, dessen Aggressionskrieg gegen die Ukraine Orban kleinredet, während er die Ukraine-Hilfe des Westens blockiert und als Kriegstreiberei denunziert. Doch am Montag haben die EU-Außenminister in Luxemburg Orbáns Veto-Macht ignoriert und per Mehrheitsbeschluss eine Tranche von 1,4 Milliarden Euro Militärhilfe auf den Weg gebracht.

Allerdings müsste allmählich eine heikle Frage geklärt werden: Wie vertrauenswürdig ist der „Sicherheitspolitiker“ Orbán, der an den Verhandlungstischen der EU und Nato sitzt und zugleich ein geradezu devot freundschaftliches Verhältnis zu Putin unterhält, dem schärfsten Feind Europas? Es wäre nicht weiter verwunderlich, wenn Orbán die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine erst gar nicht auf die Tagesordnung setzen würde. Dass Orbán im nächsten Halbjahr die EU-Beitrittsgespräche für sechs Balkanländer vorantreiben will, ist auch nur ein Lippenbekenntnis. So sind im nächsten Halbjahr keine substanzielle Fortschritte in der EU zu erwarten.

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