LEITARTIKEL Zu viel Leid, zu viele Tote

Das Elend der Kinder im Gaza-Streifen lässt kaum jemanden kalt.
Das Elend der Kinder im Gaza-Streifen lässt kaum jemanden kalt.

Wenn die israelische Regierung weiterhin nur mit Gewalt reagiert, werden sich noch mehr Palästinenser radikalisieren. Der Sieger könnte am Ende die Hamas sein.

Israels Premier Benjamin Netanjahu gibt derzeit den harten, kompromisslosen Politiker. Die Hamas werde bekämpft, bis kein Terrorist mehr am Leben sei, ist von ihm zu hören. Mal abgesehen davon, dass das schlicht unmöglich ist, arbeitet der vermeintlich starke Mann in Tel Aviv damit der Hamas in die Hände.

Seit Wochen und Monaten gehen Bilder um die Welt, die das Elend, die Verzweiflung und den Tod der Palästinenser im Gazastreifen zeigen. Jedem normal empfindenden Menschen zerreißt es das Herz, wenn er Kinderleichen in den Trümmern liegen sieht. Je länger das israelische Bombardement und die Kämpfe dort andauern, desto stärker wachsen weltweit die Sympathien für die Palästinenser und umso größer wird der Propaganda-Erfolg der Hamas. Was diese am 7. Oktober an Gräueltaten in Israel begangen hat, verblasst zunehmend. Die Kritik an Israel wird dagegen immer lauter.

Zynische Täter-Opfer-Umkehr

Die südafrikanische Völkermord-Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag stellt einen vorläufigen Höhepunkt einer zynischen Täter-Opfer-Umkehr dar. Völkermord, so die Definition, setzt nämlich die Absicht voraus, Angehörige einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten.

Auch wenn man Israel durchaus vorwerfen kann, bei seinem Feldzug gegen die Hamas im Gazastreifen nicht ausreichend Rücksicht auf Zivilisten zu nehmen, so ist es weder Ziel der Regierung noch des Militärs, die Palästinenser als Volk auszulöschen. Umgekehrt sieht es allerdings ganz anders aus. Die Hamas und viele, die mit ihr sympathisieren, sprechen Israel das Existenzrecht ab, wollen alle jüdischen Israelis töten. In ihren Augen waren die Massaker vom 7. Oktober nur ein Anfang.

Der israelische Angriff auf den Gazastreifen war eine Reaktion auf den Terror der Hamas. In der Folge sind viele Menschen im Gazastreifen gestorben, wie viele, weiß niemand. Die dortige Gesundheitsbehörde untersteht der Hamas, deren Angaben ist daher nicht zu trauen. Aber egal, wie die genauen Zahlen auch aussehen mögen, es sind zu viele Unbeteiligte bisher getötet worden. Viel zu viele. Auf beiden Seiten.

Netanjahu setzt allein auf militärische Gewalt

Leider kennt der israelische Premier, dessen Regierungskoalition auf Parteien der Ultraorthodoxen und der militanten Siedler angewiesen ist, offenbar nur eine Strategie zur Konfliktlösung: militärische Gewalt.

Und diese Gewalt bewirkt, dass sich Palästinenser in Israel und im Westjordanland mit den Palästinensern im Gazastreifen zunehmend solidarisieren und womöglich weiter radikalisieren. Sie bewirkt somit, dass die Hamas an Boden gewinnt, zumal die israelische Regierung auch nichts gegen radikale Siedler unternimmt, die sich in den Palästinensergebieten weiter Land aneignen und die Eigentümer bedrohen oder sogar töten.

Ein gefundenes Fressen also für die Hamas-Propaganda, die in den sozialen Medien auf Hochtouren läuft und weltweit auf fruchtbaren Boden fällt. Netanjahu macht es ihnen allen sehr leicht, Israel als einen die Palästinenser unterdrückenden und tötenden Unrechtsstaat darzustellen. Weil seine Regierung offenbar keinen Gedanken darauf verschwendet, wie ein zukünftiges Zusammenleben von Juden und Palästinensern aussehen könnte. Denn irgendwie zusammenleben werden sie müssen. Auch wenn es sehr, sehr schwierig ist und noch viel schwieriger werden wird.

Gerade jetzt müsste Israel auf die Palästinenser zugehen und ihnen eine Perspektive eröffnen. Sonst werden Hamas, Hisbollah und Co. noch mehr Zulauf erhalten.

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