Nachruf Zum Tod von Franz Beckenbauer – Deutschlands letzter Kaiser

Franz Beckenbauer 1974 mit dem WM-Pokal.
Franz Beckenbauer 1974 mit dem WM-Pokal.

Franz Beckenbauer, eine der bedeutenden Persönlichkeiten Deutschlands, ist tot. Er starb am Sonntag. Lange stand er fast ausschließlich auf der Sonnenseite des Lebens. In den vergangenen Jahren musste die Fußball-Legende einige schwere Rückschläge hinnehmen.

Mitte Juli sahen sich die Fußball-Weltmeister von 1990 am Chiemsee. Es war eine Art Klassentreffen. Drei Spieler fehlten – und die wichtigste Person von allen: Franz Beckenbauer. Der Teamchef der damaligen Erfolgsmannschaft war schon damals gesundheitlich so angeschlagen, dass er bei dem Wiedersehen nicht mitmachen konnte. Die Spieler sangen sein Lied. „Gute Freunde kann niemand trennen.“

An dieser Stelle finden Sie ein Video via Glomex.

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Einer der größten Sportler

Es war ruhig geworden in den vergangenen Jahren um den besten deutschen Fußballer (vielleicht) aller Zeiten und einen der größten Sportler des Landes. Nur noch ganz selten meldete er sich zu Wort. Als sein Weggefährte Uwe Seeler im Juli 2022 starb, sagte Beckenbauer. „Der Uwe war mein ältester Freund. Und mein bester. Er hat mich immer unterstützt, als ich ganz jung zur Nationalmannschaft kam. So wie er sein Leben lang allen geholfen hat. Einen so tollen Menschen wie den Uwe gibt's kein zweites Mal.“

Sein größter Erfolg als Spieler: 1974 wurde Franz Beckenbauer Weltmeister mit der deutschen Elf, hier ist er vor Johan Cruyff am
Sein größter Erfolg als Spieler: 1974 wurde Franz Beckenbauer Weltmeister mit der deutschen Elf, hier ist er vor Johan Cruyff am Ball.

Einen so tollen Menschen wie Franz Beckenbauer womöglich auch nicht. Franz Beckenbauer war ein Symbol der alten Bundesrepublik – und eben auch der neuen, weil er nach seiner imponierenden Karriere als Fußballer in anderen Funktionen ebenfalls großartige Erfolge feierte.

Weltmeister als Spieler und Trainer

Als Spieler war Franz Beckenbauer Weltmeister und Europameister. Er führte den FC Bayern München zu drei Erfolgen im Europapokal der Landesmeister. Er spielte bei Cosmos New York und von 1980 bis 1982 beim Hamburger SV. Durch seine Spielweise definierte er Eleganz neu. Es war eine Augenweide, wie er den Ball am Fuß führte und die Lage sondierte. Wenn er, der Libero, sich von hinten nach vorne durch das Mittelfeld bewegte, aufrecht, dann würdigte er den Ball keines Blickes. Er suchte ... zumeist Gerd Müller, den Mittelstürmer. Alles sah so leicht aus. Die Entdeckung der Lässigkeit. Von wegen. „Das Glück kommt nicht zum Fenster hereingeflogen. Du brauchst Fleiß und Durchhaltewillen. Das Glück muss man sich erarbeiten“, sagte er einst.

Beckenbauer holte als Teamchef 1990 in Italien mit der deutschen Mannschaft den WM-Titel. Er half als Trainer beim FC Bayern aus und war Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des Branchenführers. Und er flog innerhalb von 50 Tagen dreimal um den Erdball, um schließlich die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland zu bugsieren. Für ihn war das sein größter Erfolg.

Dubiose Zahlungen

Lange galt die WM in Deutschland als Erfolgsgeschichte. Aber dann das. Die Debatten um eine dubiose Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro im Kontext dieser WM-Vergabe warfen einen Schatten auf die Lichtgestalt. Es wurde bekannt, dass er 5,5 Millionen Euro für seine ehrenamtlichen Dienste als WM-OK-Chef erhalten hat. Das Denkmal bröckelte. Die Kritik hat ihn mitgenommen. Bis heute konnte ihm bei der WM-Vergabe kein Vergehen nachgewiesen werden. Letztlich verjährte das Verfahren wie auch das gegen drei Wegbegleiter. Aus dem Sommermärchen wurde für ihn spät ein Drama.

Franz Beckenbauer holte die WM nach Deutschland.
Franz Beckenbauer holte die WM nach Deutschland.

Das Land veränderte sich in jenen Sommertagen 2006, wurde anders wahrgenommen, präsentierte sich als offene, ungezwungene, fröhliche Einheit. Deutschland war „Schland“. Wie schon 1954 erlangte eine Fußball-Weltmeisterschaft gesellschaftliche Relevanz. Deutschland korrigierte sein Bild, machte einen positiven Imagewechsel durch.

Schon länger Sorgen

Es gab schon länger Sorgen um den Kaiser. Franz Beckenbauer hatte zwei Herzoperationen und einen Augeninfarkt. Der Tod seines Sohnes Stephan 2015 im Alter von 46 Jahren zweieinhalb Monate vor seinem 70. Geburtstag war ein brutaler Schlag. Auf der Sonnenseite des Lebens tat sich plötzlich ein Abgrund auf. Franz Beckenbauer zog sich mehr und mehr zurück, war kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen und hielt sich auch als Partner des Boulevards mit seiner Expertise zurück.

Franz Beckenbauer: Mythos, Legende, Werbestar, Ikone der einst aufstrebenden Bundesrepublik. Den Spruch „Ja, is’ denn heut’ scho’ Weihnachten?“ aus dem Werbespot des früheren Mobilfunknetzbetreibers E-Plus kennt doch fast jedes Kind! Vieles perlte ab an dem schlitzohrigen Charmeur. Nach jener Weihnachtsfeier, als das uneheliche Kind nicht mehr zu leugnen war, sagte Beckenbauer im Jahr 2000 doch tatsächlich: „So groß ist das Verbrechen nun auch nicht. Der liebe Gott freut sich über jedes Kind.“ Er war dreimal verheiratet, mit seiner letzten Ehefrau Heidrun bekam er den Sohn Joel Maximilian und die Tochter Francesca Antonie. Sein spätes Glück ...

Momente, die bleiben: Wie er beim Jahrhundertspiel 1970 in Mexiko gegen Italien den Schmerz ignorierte und mit ausgekugelter Schulter, den Arm in der Schlinge, sich mit aufbäumte. Wie er nach dem gewonnenen WM-Finale 1990 in Rom mutterseelenallein und gedankenverloren auf dem Rasen des Stadions umher wandelte. Wie er mit Bundestrainer Helmut Schön 1974 nach dem Coup gegen die Niederlande strahlte.

Eines der letzten Fotos von Franz Beckenbauer im August 2022 bei einem Spiel der TSG 1899 Hoffenheim.
Eines der letzten Fotos von Franz Beckenbauer im August 2022 bei einem Spiel der TSG 1899 Hoffenheim.

Sprüche, die bleiben: Obergiesing gegen Untergiesing beispielsweise als bissiger Kommentar zu einem Münchner Derby. Was konnte er lächelnd zynisch sein. Zuweilen ist ihm auch die Hutschnur geplatzt, während der Bankettrede auf dem Weg zum Champions-League-Sieg 2001 bezeichnete er seine hoch dekorierte Bayern-Mannschaft nach einer 0:3-Niederlage in Lyon wütend als Uwe-Seeler-Gedächtnismannschaft. Gerade als Teamchef konnte er auch schon mal fuchsteufelswild werden. Der Ehrgeiz trieb ihn an auch später.

Eine Ohrfeige mit Folgen

Und Folklore, die bleibt: dass er nur beim FC Bayern gelandet ist, weil ihm in Giesing der „60er“ Gerhard König eine Ohrfeige verpasste. Ein Wechsel zu 1860 München war fortan ausgeschlossen. Ein Kaiser dank König, was für eine Geschichte.

Franz Beckenbauer war ein unglaublich freundlicher, offener Mensch. Er hatte ein Herz für Mitmenschen, gerne auch für Nicht-Adlige. Einer wie er zeigte Respekt, überall.

Im Bayern-Magazin „51“ wurde er nachdenklich zu seinem 75. Geburtstag vor drei Jahren: „Ich denke, das gehört zum Leben dazu, dass man zwangsläufig mal an den Punkt kommt, an dem man darüber nachdenkt, dass das Leben endlich ist: Wann ist es so weit, dass du entschwindest? Und in welche Sphären? Das Weltall da draußen ist groß genug – es gäbe jedenfalls genug Möglichkeiten, wohin es einen verschlagen könnte.“ Da kam er ins Philosophieren. „Ich muss sagen, dass mich dieses Alter zum ersten Mal in meinem Leben ein bisschen nachdenklich macht. Alle anderen Geburtstage sind leichter an mir vorübergegangen“, sinnierte der Kaiser ganz ohne die ihm typische Leichtigkeit.

„Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint. Wenn man so ein Leben hat in diesen 70 Jahren, angefangen aus dem Nichts kommend und dann durch den Fußball die Kurve nach oben zu kriegen ...“, beschrieb er einmal seine große Laufbahn.

Kein Sonntag mehr für ihn: Franz Beckenbauer ist tot – und es fühlt sich an wie ein grauer, dunkler Winter-Montag.

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