Rheinpfalz Ohne Abdichtung

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Seit 1966 entsorgt die BASF giftige Abfälle auf der Rheininsel Flotzgrün bei Speyer. Jährlich müssen 130 000 Kubikmeter Wasser abgepumpt werden, um aus der Deponie versickernde Schadstoffe zu stoppen. Jetzt will der Chemiekonzern die Anlage erweitern, ohne die problematischen Altabschnitte zu sanieren. Gefährdet dies Trinkwasserbrunnen der Stadt?

Speyer/Neustadt (ros). Die Sondermülldeponie der BASF auf Flotzgrün ist rund 80 Hektar groß und umfasst maximal zehn Abschnitte. Die Sektoren 1 bis 6 sind bereits verfüllt. Derzeit werden die giftigen Abfälle im siebten Abschnitt eingelagert – voraussichtlich 2018 wird aber dort die Kapazität ausgeschöpft sein. Die BASF hat deshalb bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd in Neustadt eine Erweiterung beantragt: Der achte Abschnitt würde wohl für die nächsten 20 Jahre die Entsorgung des Mülls aus dem Chemiewerk gewährleisten und damit, wie die BASF betont, den „Standort Ludwigshafen sichern“. Im laufenden Planfeststellungsverfahren werden ab heute in Speyer bei einem Erörterungstermin voraussichtlich drei Tage lang Pro und Kontra der Deponieerweiterung diskutiert. Deren Problematik hatte der frühere Speyerer Umweltdezernent Frank Scheid bereits vor zwei Jahren auf den Punkt gebracht: Als die Deponie in den 1960er-Jahren vom damaligen Landratsamt Speyer genehmigt worden sei, habe es weder Umwelt- noch Abfallgesetze gegeben. Inzwischen sei die Rheinniederung zwischen Germersheim und Speyer ein Natura 2000-Schutzgebiet, dort wäre die Ausweisung einer Deponie heute nicht mehr möglich. Scheid: „Gewissermaßen handelt es sich bei der Deponie Flotzgrün um einen Anachronismus.“ Doch wie risikoreich ist die Altlast? Die Abschnitte 1 bis 5 sind nach unten nicht ausreichend abgedichtet. Es treten Schadstoffe aus. Was dort zwischen 1966 und 1987 auf rund 31 Hektar alles deponiert wurde, weiß die BASF selbst nicht genau: Die Dokumentation habe Lücken, die Zusammensetzung der Abfälle sei „im Altbereich schwer nachvollziehbar“. Sieben Abschirmbrunnen sollen verhindern, dass die versickernde Giftbrühe Richtung Speyerer Trinkwasserbrunnen gelangt. Das abgepumpte Wasser wird auf Schiffe verladen und in der BASF-Kläranlage behandelt: Pro Jahr sind es rund 130.000 Kubikmeter, belastet ist die Fracht tonnenweise mit Nitrat und Ammonium sowie kiloweise mit Überresten der Pflanzenschutzmittel Mecoprop und Bentazon. Das Wasserwerk Süd in Speyer liegt nur 1,5 Kilometer von der Deponie Flotzgrün entfernt. Auf die Wassergewinnung in diesem Bereich könne man auch langfristig nicht verzichten, sagen die Stadtwerke. 34 Messstellen überwachen derzeit, ob die aussickernden Giftstoffe nicht nur das Grundwasser gefährden, sondern konkret auch die Speyerer Trinkwassergewinnung bedrohen. Ein Alarmzeichen: An einer Messstelle außerhalb des Einzugsbereichs der Abschirmbrunnen wurden Schadstoffe gefunden. Dazu weiß man: Am Nordrand der Deponie gibt es eine geologische Störung – das könnte die Ursache sein, dass Schadstoffe aus dem Altteil der Deponie in den Untergrund gelangen. Die Gutachter der BASF sagen gleichwohl: „Nach derzeitigem Kenntnisstand ist eine Gefährdung des Rohwassers der vier Tiefbrunnen Speyer-Süd nicht gegeben.“ Die Verantwortlichen im Speyerer Rathaus sehen dagegen eine „potenzielle Gefährdung“ ihrer Trinkwassergewinnung. Schon zu Beginn des Genehmigungsverfahrens brachte deshalb Speyers damaliger Beigeordneter Scheid den Vorschlag ein, die Altabschnitte 1 bis 5 nachträglich abzudichten. Die Idee: Solange auf der Deponie mit den freien Abschnitten 8 bis 10 noch verfügbarer Platz besteht, könnte dorthin der Müll aus den alten Abschnitten umgelagert werden, die problematischen Bereiche würden anschließend saniert und abgedichtet. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Rheinland-Pfalz verweist nachdrücklich auf das Dilemma: „Wenn die Deponie jetzt erweitert wird und zusätzliche Abfälle eingelagert werden, ist die Ausbaggerung der in der Vergangenheit abgelagerten giftigen Abfälle nicht mehr möglich.“ Nach Angaben der SGD fordern neben dem BUND inzwischen auch der Rhein-Pfalz-Kreis, die Gemeinde Oberhausen-Rheinhausen (Kreis Karlsruhe) und die Landwirtschaftskammer eine Sanierung der Altabschnitte. Die Stadt Speyer und die Verbandsgemeinde Römerberg-Dudenhofen (Rhein-Pfalz-Kreis) hätten zudem angeregt, dass die SGD Süd einen „eigenen Abwägungsprozess hinsichtlich der Umlagerung durchführen soll“. Die Neustadter Behörde hat inzwischen selbst zwei Gutachter beauftragt, das Ausmaß der Grundwasserbelastung durch den Altbestand der Deponie sowie die Möglichkeit einer Gefährdung der Trinkwassergewinnung in Speyer zu prüfen. Untersucht werden sollen auch „die Möglichkeiten zur Sicherung“ der Trinkwasserbrunnen. Ob die Gutachter der SGD dabei zu einem anderen Ergebnis kommen als die von der BASF beauftragten Experten, steht noch nicht fest – ihr Bericht liegt bisher nicht vor. Auf dem heute beginnenden Erörterungstermin sollen die neuen Gutachter aber eine „vorläufige Einschätzung“ geben, wie SGD-Sprecherin Ulrike Schneider gestern ankündigte. Die BASF selbst lehnt eine Umlagerung des Altabfalls kategorisch ab. Ihre Gutachter kamen zu dem Fazit, dass solch ein Rückbau zwar grundsätzlich machbar ist, aber zugleich Risiken birgt und den Einsatz enormer Ressourcen erfordert. Es geht um 8,6 Millionen Tonnen Altabfälle, die nach dem Ausbaggern zu einem Teil verbrannt werden müssten. Die Gesamtemissionen der Umlagerung entsprächen der jährlichen CO2-Emission der Stadt Mannheim, es könne beim Abfallrückbau zu Bränden und Explosionen kommen. Die Kosten werden auf 2,6 bis 3,5 Milliarden Euro geschätzt, rund 30 Jahre werden für die Umsetzung solch einer Maßnahme veranschlagt. Fazit der BASF: „Kein Grundwasserschutz, der mittelfristig Wirkung zeigt.“ Die Entscheidung muss letztlich die Struktur- und Genehmigungsdirektion treffen. BUND-Bezirksbeauftragter Roland Kirsch machte schon im Vorfeld Druck: „Die SGD muss sicherstellen, dass wirtschaftliche Interessen des Deponiebetreibers bei der Risikobewertung keine Rolle spielen.“ Ins Gespräch gebracht wurden im Genehmigungsverfahren auch immer wieder Forderungen, die BASF solle sich für ihren Sondermüll andere Deponien suchen. Flotzgrün ist eine Deponie der Kategorie III, die dort einzulagernden Materialien dürfen die höchsten Belastungswerte für oberirdische Deponien aufweisen. Das Land Rheinland-Pfalz verfügt selbst über keine Deponie dieser Kategorie, eine Standortsuche wurde Mitte der 1990er-Jahre ergebnislos abgebrochen. Die nächste außerhalb von Rheinland-Pfalz gelegene Sondermülldeponie befindet sich im baden-württembergischen Billigheim – die dort verfügbaren Kapazitäten reichen jedoch für den BASF-Bedarf bei Weitem nicht aus. Kommunen wie Oberhausen-Rheinhausen fordern deshalb Standortalternativen auch in europäischen Nachbarländern zu prüfen. Die Stadtwerke Speyer wollen im Fall der Fälle Schadenersatz: Falls aufgrund eines Schadstoffeintrags die Trinkwasserförderung im Werk Süd nicht mehr möglich sei, müsse dafür „die BASF SE alle anfallenden Kosten tragen“. 

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