Kultur Südpfalz Wintermärchen im Oktober
Vier Herren, schauspielerisch talentiert und mit besonderer Ausstrahlung in der Kunstlied-Interpretation, dazu ein historischer Hammerflügel, Baujahr 1840, bilden das Then-Quartett. Den Namen gaben sie sich nach dem Erbauer Christian Then. Das Instrument ist eines von lediglich vier noch existierenden dieser Bauart ganz ohne Metall und das einzige, das noch bespielbar ist, weshalb sie es wie ein Baby hätscheln und zu jeder Aufführung mitbringen.
Dieser besondere Klang, gepaart mit der meisterlichen Lyrik des Überwinders der Romantik, Heinrich Heine, bescherte dem Publikum einen kurzweilig genussvollen Abend. Das Deutschlandbild des 1797 in Düsseldorf geborenen Juden, der später konvertierte, um Jura studieren zu können und im Alter von 34 Jahren nach Paris emigrierte, vernahmen die Zuhörer jetzt nachdenklich ernst, dann wieder, der satirisch bildreichen Worte des Verfassers wegen, heiter lachend. Heimweh nach der Mutter und die Sehnsucht nach dem Vaterland zogen Heine 1843 nach Deutschland zurück. Die Eindrücke der Reise von Paris über Aachen, Köln, Hagen, Mühlheim, Hagen, Unna und Minden nach Hamburg hielt Heine nachträglich in 27 Kapiteln mit 500 vierzeiligen Versen fest. Seine Sehnsuchtsorte sind der Kölner Dom, der im Kyffhäuser südöstlich des Harzes schlummernde Barbarossa und der gute alte Vater Rhein. Trotz bissiger Politikschelte hat sein Hamburger Verleger Julius Campe das Epos „Deutschland. Ein Wintermärchen“ herausgegeben, das in vielen Kleinstaaten des damaligen Deutschlands als Schmähschrift eines Vaterlandsverräters verboten wurde. Eine Wäscheleine, an der lange Unterhosen hingen, ein Bett, ein Tisch samt Stühlen und eine Reisetruhe dienen als Bühnenbild. Wohl als Zeichen zeitloser Gültigkeit transportieren digitale Bilder auf einer Leinwand des Dichters Reime in die heutige Welt: Zu sehen sind etwa eine Fahrt auf der Autobahn, das Konterfei von Malu Dreyer, aber auch Filmszenen zum Hambacher Fest. Die Kleidung der Darsteller bewegt sich zwischen Chapeau Claque und modernem Kapuzenpulli. „Zu Hause“ flimmert als endlose LED-Schleife über den Gürtel eines der singenden Schauspieler. Die Rezitation der Verse zelebrieren die vier Herren unter anderem auch im Dialekt der Schwaben und Sachsen. Dazwischen singen sie vierstimmig bekannte Lieder von Heimat, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Europahymne „Freude, schöner Götterfunken“ beispielsweise, oder weinselige Lieder über den Rhein. Das Lied der Deutschen erklingt in allen drei Strophen. Die erste hört das Publikum unter atemloser Schockstarre, der aufatmende Seufzer folgen, nachdem Bernhard Stengele erklärt, dass dies im Rahmen des Kunstlied-Vortrags erlaubt sei. Ergriffenheit macht sich breit, als Kai Christian Moritz „Die Nebensonnen“ aus Franz Schuberts Winterreise interpretiert. Viel zu lachen hat das Publikum zum einen des sarkastischen Witzes in Heines Worten wegen, aber auch in humorigen darstellerischen Momenten. Zum Beispiel, wenn Philipp Reinheimer sich ein Häubchen überzieht und Heines Amme mimt. Stengele, der den Lyrikabend inszeniert hat, bekleidet den intensiven Part des Vortrags der Verse ebenso hervorragend wie die Rolle des Erzählers unterhaltsamer Hintergrundgeschichten. Unter den geschmeidigen Fingern von Ulrich Pakusch übernimmt der historische Flügel die Aufgabe der Veranschaulichung romantischer Musik in Werken von Schubert, Chopin und Liszt. „Rejoice“ aus Georg Friedrich Händels Oratorium „Der Messias“ ertönt überraschend aus dem Publikum, nämlich von einer mit dem Quartett befreundeten Opernsängerin, deren Name im begeisterten Applausgewitter unterging. Mit dem Abschiedslied „Kein schöner Land in dieser Zeit“ war dem ergriffenen Publikum deutlich gemacht, dass die Vorstellung von „Heimat“ im Herzen jedes Menschen verankert ist. Wohin immer ein Reisender sich bewegt, nimmt er etwas davon mit – und sei es ein Stück Erde, das an seinen Schuhen klebt. |srs