Leitartikel Bahncard: Schikanierte Stammkunden

Zeitweise hatten mehr als fünf Millionen Bahnkunden eine Bahncard in Brieftasche oder Geldbeutel. Das soll nun bald vorbei sein.
Zeitweise hatten mehr als fünf Millionen Bahnkunden eine Bahncard in Brieftasche oder Geldbeutel. Das soll nun bald vorbei sein.

Die Deutsche Bahn müsste froh über jeden treuen Bahncard-Besitzer sein. Statt sich um deren Nachsicht zu bemühen, drangsaliert sie jetzt gerade jahrzehntelange Stammkunden durch eine unsinnige Zwangsdigitalisierung.

Über die Deutsche Bahn (DB) wird seit Jahrzehnten mehr oder weniger laut geschimpft, aber das Jahr 2024 stellt doch in mancher Hinsicht einen Höhepunkt dar. Am schlimmsten für die Kunden waren wohl die Streiks der Lokführergewerkschaft GDL in den ersten Monaten des Jahres, die auch deutlich Spuren bei den Fahrgastzahlen hinterlassen haben.

EM wird zum Image-Desaster

Hinzu kamen mehrere Großbaustellen, die zu Zugausfällen und zeitraubenden Umleitungen führten. Für das Image der DB in den Medien waren dann wohl die Blamagen während der Fußball-EM besonders gravierend. Bezeichnend war dabei allerdings auch, dass meist nur Negativ-Ereignisse beachtet wurden. Dass DFB-Turnierchef Philipp Lahm wegen einer Zugverspätung einen Spielanfang verpasste, wurde immer wieder berichtet, nicht aber seine Klarstellung, dass er zuvor bei seinen Bahnfahrten meist weitgehend pünktlich ans Ziel gekommen war.

Gleich nach der EM kam mit der fünfmonatigen Sperrung der Riedbahn von Mannheim nach Frankfurt der nächste Stressfaktor für die Bahnkunden, die nun bis Mitte Dezember deswegen mit Umleitungen, wegfallenden Direktverbindungen und längeren Fahrzeiten leben müssen – und dem höheren Risiko, dass beim Ausfall einer der Umleitungsstrecken alles gleich noch viel schlimmer wird als sonst.

Für einiges kann die Bahn nichts

Dabei muss man der Fairness halber klarstellen, dass bei einigen Problemen die DB selbst mehr Opfer als Täterin ist. Das gilt insbesondere für den Zustand des Schienennetzes, der Folge der jahrzehntelangen Vernachlässigung durch den Eigentümer Bund ist. Gerade im DB-Fernverkehr sind viele Probleme durch Kapazitätsengpässe und technische Probleme im Netz verursacht, die dann nicht nur die Nerven der Kunden, sondern auch die des Zugpersonals strapazieren.

Angesichts dieses tristen Gesamtbildes muss die DB immer wieder auf die Nachsicht ihrer Kunden hoffen. Relativ groß ist die oft dann, wenn die DB erkennbar an den Problemen unschuldig ist. Dies gilt zum Beispiel für die wegen des Klimawandels zunehmende Häufung von Extremwetterereignissen wie dem Hochwasser in Bayern. Die Sperrung der sonst sehr stark befahren Strecke von Würzburg nach Nürnberg hat für die schlechten Pünktlichkeitswerte während der EM eine zentrale Rolle gespielt.

Auch DB-Mitarbeiter sind entsetzt

Keinerlei Nachsicht verdient hat die DB dagegen für das schikanöse Verhalten gegenüber langjährigen Bahncard-Stammkunden, denen völlig ohne Not eine Digitalisierung aufgezwungen wird. Das Motiv dahinter ist nach der Einschätzung von Insidern keineswegs der Wunsch, Plastik für die Bahncards einzusparen, sondern das Bestreben, an noch mehr digitale Kundendaten zu kommen.

Dabei ist auch DB-intern bei vielen Mitarbeitern das Entsetzen über die stammkundenfeindliche Haltung des Managements beim Fernverkehr groß – und zwar meist vor allem bei denen, die direkt mit betroffenen Kunden zu tun haben oder sich ihnen zumindest verbunden fühlen. Auf sie wird aber offensichtlich bisher nicht gehört. Vieles erinnert an das Image-Desaster des Jahres 2003, als der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn mit einem von den Flugbranche inspirierten neuen Preissystem die gewohnte Bahncard abschaffen wollte.

Anders als die DB bietet in der Rhein-Neckar-Region die RNV das Deutschlandticket auch als Chipkarte an. Ähnlich ist es in Österreich beim Klimaticket, sozusagen der österreichischen Bahncard 100. An solch einer pragmatischen Version der Digitalisierung sollte sich die DB bei der Bahncard orientieren, statt langjährige Kunden zu brüskieren.

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