Gesundheit Wie wirkt die Abnehmspritze Wegovy?

Die Nachfrage nach Wegovy ist größer als die Produktion.
Die Nachfrage nach Wegovy ist größer als die Produktion.

Seit einem Jahr ist die Abnehmspritze Wegovy auf dem deutschen Markt. Trotz diverser Nebenwirkungen ist die Nachfrage groß. Das schafft Probleme – und inzwischen gibt es ernstzunehmende Konkurrenz.

Dass um ein Medikament ein regelrechter Hype entsteht, ist selten. Doch mit dem Mittel Wegovy ist es passiert: Menschen zeigen in sozialen Medien, wie sie mit damit abnehmen – und berichten von Nebenwirkungen. Was hat sich seit der Einführung vor einem Jahr getan? Ein Überblick:

Was ist Wegovy?
Wegovy ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, das beim Abnehmen und Halten von Gewicht helfen soll, indem es den Appetit zügelt und das Sättigungsgefühl steigert. Für diese Nutzung können Ärztinnen und Ärzte das Mittel des dänischen Unternehmens Novo Nordisk seit Mitte Juli 2023 in Deutschland verschreiben. Patienten spritzen es sich mit einem Fertigpen, der einem Stift ähnelt, einmal pro Woche unter die Haut.

Der Wegovy-Wirkstoff Semaglutid wurde schon seit längerem zur Behandlung von Typ-2-Diabetes genutzt – unter dem Handelsnamen Ozempic. Wegovy enthält den Wirkstoff in höherer Dosierung und wurde für Menschen mit Adipositas, also Fettleibigkeit, zugelassen, ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30. Die Therapie soll mit Diät und Bewegung kombiniert werden.

Wie wirkt Wegovy?
Der Wegovy-Wirkstoff Semaglutid imitiert die Wirkung des Darmhormons GLP-1 (Glucagon-like peptide-1). Dieses werde nach dem Essen aus dem Dünndarm freigesetzt, erläutert Matthias Laudes, Vizepräsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) und Direktor des Instituts für Diabetologie und klinische Stoffwechselforschung am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Das Hormon signalisiere der Bauchspeicheldrüse, Insulin zu produzieren. „Das ist die antidiabetische Wirkung“, sagt Laudes. Der zweite Effekt sei, dass dem Gehirn mitgeteilt werde, dass etwas gegessen wurde und es ein Sättigungsempfinden entwickeln könne. „Das ist die gewichtsregulierende Wirkung.“

Die dritte Wirkung sei, dass dem Magen signalisiert werde, dass noch genügend Essen im Dünndarm sei, die Magenentleerung also verzögert werde. Insbesondere diesen Effekt bemerkten Patienten als Nebenwirkung – nämlich Übelkeit. Das lege sich aber in der Regel, wenn die Leute sich daran gewöhnten, kleinere Portionen zu essen, sagt Laudes.

Welche weiteren Nebenwirkungen gibt es?
Neben Übelkeit komme es zu Beginn der Therapie häufig zu weiteren Magen-Darm-Beschwerden wie Erbrechen, Durchfall und Verstopfung, sagt Karsten Müssig von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Diabetologie am Franziskus-Hospital Harderberg. Daher werde mit einer niedrigen Dosis begonnen, die nach und nach gesteigert werde. Seltene Nebenwirkungen seien eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse und Darmverschluss. „Deshalb sollte die Behandlung nur unter ärztlicher Kontrolle erfolgen“, mahnt Müssig.

Eine jüngst in der Fachzeitschrift „Jama Ophthalmology“ veröffentlichte Studie deutet darauf hin, dass Semaglutid in sehr seltenen Fällen mit einer schweren Augenerkrankung einhergehen könnte – der sogenannten nicht-arteriitischen anterioren ischämischen Optikusneuropathie (NAION). Erwiesen sei dies zwar nicht, ernst nehmen müsse man es aber schon, sagt Horst Helbig von der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und vom Universitätsklinikum Regensburg. Die Klärung dieser Frage bedürfe weiterer Untersuchungen und einer sorgfältigen Beobachtung von Patienten.

Berichte deuten auf ein weiteres Phänomen hin, bekannt unter dem Begriff „Ozempic Face“: Generell kann bei einer schnellen Gewichtsabnahme das Gesicht eingefallen und stark gealtert wirken.

Muss „Wegovy“ lebenslang genommen werden?
Adipositas sei ebenso wie Diabetes eine chronische Erkrankung, sagt Laudes, daher müsse das Medikament lebenslang genommen werden. „Bei einem Diabetesmedikament würde ja auch niemand sagen, das könne man nach sechs Monaten absetzen“, erklärt Laudes. „Jeder adipöse Mensch hat sein Leben lang das Problem, dass er immer wieder zunehmen kann.“ Das sehe man beispielsweise auch nach Magenverkleinerungen.

Worauf müssen Patienten achten?
Eine Adipositas-Therapie sollte immer auch eine Änderung des Lebensstils enthalten, etwa im Sinne einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger körperlicher Bewegung, sagt der DGE-Experte Müssig. Die Kost sollte kalorienreduziert und ballaststoffreich sein und außerdem weniger gesättigte und mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten – ähnlich wie bei der mediterranen Ernährung.

Was kostet Wegovy?
Der Preis der Adipositas-Therapie beläuft sich laut Müssig auf etwa 300 Euro monatlich. Patienten müssen die Kosten selbst tragen, denn das Medikament wird nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Beeinflusst Wegovy die Fruchtbarkeit von Frauen?
Unter der Behandlung mit Semaglutid – also Wegovy oder Ozempic – habe es bei Frauen, die längere Zeit einen unerfüllten Kinderwunsch hatten, Schwangerschaften gegeben, sagt Ulrich Knuth, Vorsitzender des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschland (BRZ). Valide Zahlen dazu gebe es aber nicht. Möglicherweise, so der Experte, spiele hier die Verringerung des Körpergewichts eine Rolle. Es sei bekannt, dass Adipositas die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft verringere. Während der Schwangerschaft und Stillzeit soll das Präparat nicht verwendet werden. Wer ein Kind bekommen wolle, sollte Semaglutid mit einem Vorlauf von zwei Monaten absetzen, so die europäische Arzneimittelbehörde EMA.

Welches Fazit kann nach einem Jahr gezogen werden?
Das Diabetesmedikament Ozempic sei schon lange Zeit jenseits der eigentlichen Zulassung – also gegen Typ-2-Diabetes – zur Gewichtsreduktion eingesetzt worden, sagt Diabetologe Müssig. Die Einführung von Wegovy ging mit der Hoffnung einher, dass Ozempic verstärkt den Diabetes-Patienten zur Verfügung steht. Zwar habe sich inzwischen die Verfügbarkeit von Ozempic gebessert, aber es gebe weiterhin Lieferengpässe. Adipositas-Experte Laudes sagt, auch bei Wegovy sei die Nachfrage größer als die Produktion.

Diese Situation erhöht das Risiko von Produktfälschungen – und die EMA warnt explizit vor dem Kauf solcher Präparate auf dem Schwarzmarkt. Zudem sollten die Präparate nur für die jeweiligen Zulassungen – Typ-2-Diabetes und Adipositas – zum Einsatz kommen. Wenn nicht adipöse Menschen solche Medikamente lediglich dazu nutzten, um ihre Figur zu optimieren, verschlimmere dies die ohnehin bestehenden Engpässe.

Ist Novo Nordisk der einzige Anbieter einer Abnehmspritze?
Nein. Der US-Pharmakonzern Eli Lilly, der 2,3 Milliarden Euro in einen neuen Produktionsstandort in Alzey investiert, vertreibt inzwischen unter dem Namen Mounjaro ebenfalls eine Abnehmspritze. Diese beinhaltet den Wirkstoff Tirzepatid, der ähnlich funktioniert wie Semaglutid. Sie ist seit Ende vergangenen Jahres in der EU zugelassen.

Gerade ergab eine Studie, dass sich damit deutlich eher ein starker Gewichtsverlust erreichen lässt als mit Semaglutid. Die Nebenwirkungsrisiken beider Substanzen seien vergleichbar, berichtet das Forschungsteam im Fachjournal „JAMA Internal Medicine“. Aussagen zu Langzeitfolgen sowie zum Erreichen wichtiger Ziele wie einem verringerten Risiko für Herzinfarkte ließen sich aus der Analyse aber nicht ableiten.

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