Kaiserslautern Ein Aufruf zum Frieden

Eine Biografie der Macht, die unter die Haut geht, zeigte Johannes von Matuschka in seiner Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper „Simon Boccanegra“ am Samstagabend im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken.

Im Schaffen Verdis ist diese Oper musikalisch wie dramaturgisch ein Übergangswerk und zeigt bereits charakteristische Elemente der späteren Meisterwerke „Don Carlo“, das ebenfalls das Spannungsfeld zwischen Macht, politischen Realitäten und privaten Wünschen thematisiert, und „Otello“. Wie in einem Bilderbogen zieht sein Leben an dem greisen Dogen Simon vorbei: Die Drehbühne von Ulrich Leitner zeigt in kaleidoskopartigen Ausschnitten den aus dem Volk stammenden Korsarenkapitän, der sich in Maria verliebt, die Tochter des Genueser Adligen Fiesco. Dieser lehnt eine Verbindung ab, das gemeinsame Kind wird in der Ferne unter anderem Namen erzogen, Vater und Großvater verlieren in den politischen Wirren den Kontakt. In diesen bürgerkriegsähnlichen Kämpfen um die Herrschaft in Genua, das nie als konkreten Ort zitiert wird, was die Allgemeingültigkeit der Ereignisse betont, wird auch Gabriele Adorno, der spätere Geliebte der Tochter Boccanegras und sein Nachfolger im Dogenamt, verkrüppelt. Durch diese Visualisierung meistern Johannes von Matuschka und Ulrich Leitner die filmisch anmutenden Zeitblenden des Werkes. Die Handlung setzt ein, als Simone von seiner Wahl zum Dogen erfährt – und die Nachricht vom Tod seiner Geliebten erhält. Beruflicher Triumph und private Katastrophe: Der Preis der Macht ist hoch, muss Simone erleben. Matuschkas Inszenierung ist sehr puristisch, konzentriert sich auf die Protagonisten und ihre Beziehungen zueinander; die Bühne verzichtet auf jeglichen Dekor und beschränkt sich auf wenige Symbole und klare Räume. Die Hauptdarsteller zeigt die Regie in einer psychologisch durchdachten, stimmigen Personenführung nicht als strahlende Helden. Sie sind gebrochene Charaktere, haben ihre Wunden davongetragen – sichtbare wie unsichtbare. Ein ergreifendes Porträt eines einfachen Mannes, der durch politische Ränkespiele zur Macht kommt, entwirft Olafur Sigurdarson in der Titelpartie. Bodenständigkeit zeichnet diesen Dogen aus, der nicht polarisieren, sondern Brücken bauen will, weil er um die zerstörerische Kraft der Parteikämpfe weiß, ihre Folgen selbst schmerzlich durch den Verlust seiner Familie erlebt hat. Der isländische Bariton lässt in seiner klangvollen, wandlungsfähigen Stimme Stärke und Schwäche dieses Mannes lebendig werden, dem die Macht immer größere Opfer abverlangt. Einen seltenen Moment des Glückes erlebt er, als er in der Adligen Amelia Grimaldi (Susanne Braunsteffer) seine tot geglaubte Tochter Maria wieder findet: Dieses Duett gestalten Sigurdarson und Sopranistin Susanne Braunsteffer mit einer berührenden Scheu und Zartheit, in der sich darstellerisch wie musikalisch die tiefsten menschlichen Seelenregungen reflektieren, einer der Höhepunkte der Oper wie der Saarbrücker Inszenierung. Als Regierungsoberhaupt ruft Boccanegra mit nahezu visionärer Kraft zum Frieden auf, befreit sich aus allen Zwängen, die ihm die Realität auferlegt hat. Verdeutlicht wird dies szenisch nicht ganz so geschickt durch ein breites Segeltuch, aus dem der Doge sich herausarbeitet, das dann wie eine große Flagge hinter einem Podest hängt, das einen Thron andeutet. Aber sein Appell verhallt; Ränkeschmied Paolo (James Bobby) trachtet ihm nach dem Leben. Den adelsstolzen Fiesco, der sich zuletzt mit dem sterbenden Widersacher Simon aussöhnt, singt Hiroshi Matsui mit dunklem sonorem Bass, den invaliden Gabriele verkörpert Adrian Dumitru mit tenoraler Strahlkraft und darstellerischem Temperament als hin- und hergerissenen, gebrochenen Helden, der als Boccanegras Nachfolger unter der Last des Dogenamtes mehrfach strauchelt und zusammenbricht. Stimmgewaltig, doch differenziert agieren die machtvollen Chöre, und das Orchester unter der Leitung von Christopher Ward stellt überzeugend weniger die packende Dramatik der Musik in den Vordergrund als die Momente des Innehaltens und lässt so den Charakteren Raum zur Entfaltung. Denn das letzte Wort hat hier die Musik. Termine und Karten —Nächste Vorstellungen 29. April, 7., 14., 19., 21., 26. Mai. —Karten: Telefon 0681/3092-486; Internet www.staatstheater.saarland

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