Donnersbergkreis „Die Politik wird privatisiert“

Grünenpolitiker Jamill Sabbagh (Zweiter von links) war einer von mehreren Gesprächspartnern, die im September 2016 auf dem Demok
Grünenpolitiker Jamill Sabbagh (Zweiter von links) war einer von mehreren Gesprächspartnern, die im September 2016 auf dem Demokratischen Sofa in Obermoschel mitdiskutierten.

«Obermoschel/Berlin.» Acht Monate ist es her, dass die aus Jugendlichen bestehende Aktionsgruppe „Dorfraumpioniere“ ein Wohnzimmer an einer Straße in Obermoschel aufbaute und dort mit Gesprächspartnern über Politik diskutierte. Das „Demokratische Wohnzimmer“ sollte das Thema Politik in die Öffentlichkeit rücken. Am Samstag wird die Initiative auf dem Kirchentag in Berlin mit dem Jugendprojektpreis „Jupp“ der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend ausgezeichnet. Ingo Schenk, Referent des Landesjugendpfarramts der evangelischen Kirche der Pfalz, stand vorab Rede und Antwort über die Idee, den Preis und Fatalismus in der Nordpfalz.

Am Samstag steht die große „Jupp“-Preisverleihung in Berlin an. Ist der Koffer schon gepackt und die Dankesrede geschrieben?

(lacht) Ja, klar. Und es fahren noch drei Jugendliche mit, die den Preis entgegennehmen werden. Es ist ja auch ihr Preis. Für diejenigen, die das Demokratische Wohnzimmer nicht kennen: Um was genau geht es da? Es gab eine Vorläufermaßnahme namens „Dorfleben“, bei der Jugendliche mit Unterstützung des Landesjugendpfarramts ein Jahr lang die Gemeinden Obermoschel und Niedermoschel erforscht haben. Die Jugendlichen haben dabei herausgefunden, dass Demokratie zu Hause im Wohnzimmer stattfindet, aber sobald man die Ergebnisse in der Öffentlichkeit präsentieren will, kommt keiner. Die Politik wird sozusagen privatisiert. Also haben die Jugendlichen den Schluss gezogen: Das Wohnzimmer muss auf die Straße geholt werden. Das haben Sie im vergangenen September dann gemacht. Und es hat gut funktioniert. Kreistagsvertreter und Bürger haben damals zum Beispiel darüber diskutiert, wie man die Region attraktiver machen kann. Im zweiten Schritt haben wir uns an die Berufsbildende Schule Rockenhausen gewandt – wir brauchen ja Nachwuchs. Da sind Schüler einer Klasse als Sozialforscher unterwegs: Was braucht es, um demokratisches Bewusstsein zu schaffen? Das fängt schon bei den Kindern an. Als Drittes befinden wir uns noch in Gesprächen, ob es möglich ist, den Demokratietag Rheinland-Pfalz als kleinen Ableger in der Nordpfalz zu veranstalten. Was macht das Projekt so preiswürdig? Die Jury lobt die wissenschaftliche Grundlage und dass man, spitz formuliert, nicht nur Karteikärtchen von Jugendlichen sammelt. Die Jugendlichen – in Obermoschel sind es neun – sind durch das Projekt zu Experten für ihre Stadt geworden. So können sie Ideen und Vorschläge entwickeln. Wie ist die Auszeichnung einzustufen? Gab es viel Konkurrenz? Ja, es gab 240 Bewerber bundesweit. Wir vom Landesjugendpfarramt sind mit zwei Projekten unter die letzten zehn gekommen. Daraus wurde das Demokratische Wohnzimmer zum Sieger gekürt. Mit dem „Jupp“ würdigt die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend zukunftsweisende Projekte der Kinder- und Jugendarbeit. Wie genau sind denn die Jugendlichen beim Demokratischen Wohnzimmer eingebunden? Sie sind die Akteure. Es ist bei uns so: Die Erwachsenen können bei uns partizipieren. Üblich ist es ja eher umgekehrt. Wir müssen bei dem ganzen Prozess auch darauf achten, wie Erwachsene und Jugendliche zu einem gemeinsamen Verständnis kommen. Wenn nur Jugendliche in einer Dorfpräsentation ihre Ergebnisse vorstellen, hört man von Seiten der Erwachsenen oft nur Unverständnis, weil sie es nicht nachvollziehen können. Bei der Premiere im September 2016 hatten sich die Dorfraumpioniere trotzdem gewünscht, dass mehr Jugendliche kommen… Sie meinten damals Jugendliche und Erwachsene aus der Region, ja. Da wollen wir auf jeden Fall mehr darauf aufmerksam machen. Deswegen auch der Demokratietag. Warum ist das Projekt hier so von Bedeutung? Denken Sie an die Situation in den abgehängten Regionen in Frankreich. Gewissermaßen ist auch die Nordpfalz eine abgehängte Region. Bei den Menschen sorgt das für eine Verdrossenheit und führt zu einem gewissen Fatalismus. Man schützt das Alte und ist vorsichtig bei Veränderung. Nun wollen wir einen Prozess anstoßen: Wie können wir die Menschen wieder zu Akteuren der politischen Veränderung machen? Wir müssen die Situation vor Ort herausbekommen, um bei den Menschen die Wertigkeit der Region zu verändern. Ziel ist auch, die Abwanderung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu verhindern. Was hat das Demokratische Wohnzimmer Ihrer Meinung nach bewegt? Es hat das Thema Demokratie ins Bewusstsein gehoben. Und bei den Jugendlichen hat es eine hohe Sensibilität für ihre Region geschaffen und dafür gesorgt, dass sie einer Situation nicht hilflos gegenüber stehen. Zu der Auszeichnung gehört auch ein Preisgeld in Höhe von 3000 Euro. Steht jetzt eine große Feier an? Das wird eine spannende Debatte. Über das Geld verfügen ja die Jugendlichen. Ich vermute, dass sie es in ein Anschlussprojekt stecken werden. Aber letztendlich werden wir darüber gemeinsam entscheiden – natürlich ganz demokratisch. | Interview: Kathrin Thomas

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