Frankenthal Bob Dylan statt Strandurlaub

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Bob Dylan, Neil Young, Deep Purple oder die Rolling Stones – Marco Schelletter hat sie alle live erlebt, und das nicht nur einmal. Wenn es klappt, begleitet der Frankenthaler seine Lieblingsmusiker auf ihrer kompletten Deutschland-Tournee. Mindestens 50 Konzerte sieht er sich jedes Jahr an, und dafür verwendet der Bankkaufmann fast seinen gesamten Jahresurlaub.

Sein Hobby sieht man Marco Schelletter sofort an. Im nagelneuen „The Who“-T-Shirt öffnet er die Tür seiner Wohnung. Womit eine weitere Lieblingsband des 37-Jährigen genannt wäre. Im September hat er The Who zuletzt live gesehen, erst in Oberhausen und zwei Tage später noch einmal in Stuttgart. Was Musik anbelangt, ist Schelletter ein echter Wiederholungstäter. Er nennt sich selbst einen „Komplettisten“. Dass das zutrifft, zeigt sich im Wohnzimmer. Die Regale sind prall gefüllt mit CDs. Der Musikliebhaber spricht von 2400 Titeln. Was seine Lieblinge anbelangt, muss er alles haben, was an Alben veröffentlicht wird. Und natürlich auch so viele Konzerte wie möglich besuchen. Neil Young hat er schon 25-mal live erlebt, Bob Dylan sogar 53-mal. Im vergangenen Jahr war Schelletter bei allen Deutschland-Konzerten des frisch gekürten Literatur-Nobelpreisträgers dabei. Dylan habe die meisten mitreisenden Fans, sagt Schelletter. Doch worin liegt der Reiz, sich gleich mehrere Auftritte eines Künstlers anzusehen? „Auch wenn die Setlist bei den meisten Musikern identisch ist, gleicht kein Konzert dem anderen“, erläutert er. „Es ist sehr interessant, unterschiedliche Nuancen im Spiel herauszuhören.“ Spitzenreiter in Schelletters persönlicher Konzertstatistik sind Deep Purple. 73 Konzerte der Altrocker hat er schon besucht. „Die Jungs harmonieren einfach super als Band“, erklärt er seine Begeisterung für die Briten. „Led Zeppelin dagegen bestehen eher aus einer Reihe von Solovirtuosen.“ Dafür verdankt er der Gruppe um Frontmann Jimmy Page sein schönstes Konzerterlebnis. Schelletter hatte 2007 das Glück, eine Karte für den ersten Auftritt der Band seit 1980 zu ergattern. 20 Millionen Fans wollten Led Zeppelin in der Londoner O2-Arena sehen. „Die Tickets wurden verlost und mussten in London abgeholt werden“, berichtet er. Auch musikalisch sei der Auftritt ein großes Erlebnis gewesen: „Jimmy Page ist einfach der beste Gitarrist der Welt.“ Im Sommerurlaub vor drei Jahren besuchte der Frankenthaler gleich fünf Konzerte an fünf aufeinanderfolgenden Tagen. Donnerstags lauschte er in der Luxemburger Rockhal Neil Young, dessen Show er sich einen Abend später ein zweites Mal in Köln ansah. Von dort fuhr er noch in derselben Nacht mit dem Auto zum Flughafen Frankfurt-Hahn, um nach London zu fliegen. Samstags traten die Rolling Stones im Hyde Park auf. „Ich hatte die Stones sechs Jahre lang nicht gesehen. Bereits um 11.45 Uhr stand ich am Eingang“, erzählt Schelletter und lacht. An viel Schlaf war auch danach nicht zu denken. Weiter ging es nach Bonn, wo er sich tags darauf bei einem Festival Deep Purple und am Montag Carlos Santana anhörte. Um die ganze Welt folgt er seinen Lieblingsmusikern, zu denen auch Eric Clapton und David Gilmour zählen, aber nicht. Das wäre dann doch zu teuer, meint der Bankkaufmann. Er beschränkt sich auf Deutschland und das nahe Ausland. Schelletter ist auch kein Autogrammjäger. Backstagepässe und stundenlanges Warten an Hintereingängen sind seine Sache nicht. Wenn ihm mal ein Star über den Weg läuft, dann passiert es eher zufällig. Wie bei Jon Lord. Den 2012 verstorbenen Deep-Purple-Keyboarder traf er nach dem Konzert vor einer Hoteltiefgarage, in der er sein Auto abgestellt hatte. „Lord war sehr nett. Er sah mein Tour-Shirt, und kam sofort auf mich zu“, erzählt Schelletter. Auf bis zu 80 Konzerte kommt er in einem „guten“ Jahr. 2016 hat es der Frankenthaler ruhiger angehen lassen. Bis zum Ende des Jahres werden es wohl nur rund 50 Konzertbesuche sein, schätzt er. Jede seiner Reisen wird akribisch geplant. Denn für Schelletter ist es Pflicht, früh da zu sein, um ganz vorne stehen zu können. Schließlich will er den puren Monitorsound hören und die Musiker aus nächster Nähe verfolgen. Von vielen Künstlern werde man als „Erste-Reihe-Fan“ wiedererkannt, sagt Schelletter. Und unter der mitreisenden Anhängerschaft entstünden richtige Bekanntschaften. Seine Begeisterung für die alte Garde der Rockmusiker erklärt der 37-Jährige so: „Musik muss für mich handgemacht sein, und da sind die Alten einfach versierter als die jüngere Generation.“ Und so wird er Dylan und Co nachreisen, so lange sie noch Konzerte geben. Erst gestern war Schelletter bei Paul Simon in Leipzig. Am Samstag fährt er nach Basel, um sich Jeff Beck anzuhören. Die britische Gitarrenlegende spielt am folgenden Freitag ihr nächstes Konzert in der Salierhalle in Winterbach – klar, dass Marco Schelletter auch da wieder in der ersten Reihe stehen wird.

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