Frankenthal Das Tanzprojekt „Return“ begeistert die Zuschauer im Congress-Forum

Voller Energie: Szene aus „Return“.
Voller Energie: Szene aus »Return«.

Ein blauer Pfeil, der sich nahezu kreisförmig zu seinem Anfangspunkt bewegt: Das ist das Logo von „Return“ – ein Tanzprojekt, das im Congress-Forum am Samstag die Rückkehr aus der Pandemie feierte, mit 60 Akteuren, für die vorher die Welt des Balletts völliges Neuland war.

Schon der Anfang zeigt das Gespür des britischen Choreographen Alan Brooks für Dramatik: Wie in einer Prozession marschieren die Tänzer schweigend über die Empore hinunter zur Bühne. Sie sind Stipendiaten der Roland Berger-Stiftung, eine Elite begabter neun- bis 18-jähriger Schüler aus der Metropolregion Rhein-Neckar, Saarbrücken und Kirn, die aus sozial benachteiligten Familien stammen. Der renommierte Choreograph, der sich auf Kinder- und Jugendarbeit spezialisiert hat, bildete in sechs Monaten harter Probenarbeit die Neulinge zu Tänzern auf Zeit aus – für ein Tanztheater, das ihre Emotionen in und nach Corona darstellen sollte.

Aufbruch in ein freies Leben nach Corona

Dunkel ist die Bühne, auf der zu den Geräuschen von Wind und Meer vier Wesen allmählich ins Licht tauchen. Sie scheinen zunächst mächtige Hörner zu tragen. Als sich die Scheinwerfer auf die Ankömmlinge richten, entpuppen sich die Figuren als Tänzer, die Kinder auf ihren Rücken tragen. Deren Arme lösen sich langsam aus der Starre, wiegen sich im Wind – aus den Figuren werden menschliche Vögel, die ihre Schwingen ausbreiten und in ein neues freies Leben aufbrechen. Denn genau darum geht es ja in „Return“.

Szene aus Return.
Szene aus Return.

Im nächsten Akt rennen acht Kinder über die Bühne. Aus der Lautsprechern dringt „The Architect“ von Kerry Muzzey – zu den Achtelnoten der Geigen schwingen die Kleinen wie Schmetterlinge, die gesamte Bühnenfläche ausnutzend: Es ist die Harmonie der Kindheitsidylle, vor der Angst vor Ansteckung, vor der Zeit der Gesichtsmasken und Abstandsregeln. Fließend geht der Sound über in die Filmmusik Abel Korzeniowskis zu „An Angel in Cracow“.

Der bange Blick in die Zukunft

Jetzt ist das Fußgetrappel aller Tänzerinnen zu hören, die wie Roboter die Bühne in Besitz nehmen. Aus ihren mechanischen Staccato wird ein organisches Bewegungsmuster, staunend balancieren die Mädchen etwas Unsichtbares in den Händen – eine kostbare Kugel. Vielleicht eine Kristallkugel, in der sie nach ihrer Zukunft ohne Angst suchen. Vielleicht die Sonne, zu der sie immer wieder in die Höhe blicken. Zurück bleibt eine Tänzerin. Das Spiel mit der imaginären Kugel gerät aus dem Gleichgewicht, hektisch versucht die junge Frau, die Kugel zu beherrschen und scheitert.

Schon taucht die nächste Gruppe auf. Neun Paare befinden sich in Zeitlupe in einem asiatischen Kampf. Die Stöße und das Ringen geraten in einen uniformen Gleichtakt und wandeln sich in Gesten der Gemeinschaft, das Gegeneinander wird zum Miteinander. Besonders deutlich wird die getanzte Pantomime im Bild, das die 16 ältesten Tänzer darstellen: Sie bilden Gruppen, in denen stets eine Person ausbricht und sich in immer schnelleren Kreisen dreht wie ein Propeller – eine von der Gemeinschaft isolierte Tanzfigur, die sich nach und nach alle Tänzer aneignen, bis schließlich jeder von der Magie menschlicher Kreisel in seinen Bann gezogen wird und seine Bahnen dreht.

Szene aus „Return“.
Szene aus »Return«.

Nach diesem Gänsehautmoment setzt Brooks noch eins drauf: Mit Szenenapplaus belohnen die 400 Zuschauer die Tanznummer von neun Akteuren, die man als dramatischen Tiefpunkt der Inszenierung bezeichnen könnte – die Darsteller bewegen sich wie Marionetten, deren Fäden langsam reißen. Ihre Gliedmaßen knicken Stück für Stück ein. Ein Zusammenbrechen wird demonstriert, das die Belastungsprobe für Heranwachsende in zwei Jahren unter Corona in einem starken Bild zeigt.

Auf klassische Musik folgt Elektro-Pop

Der klassisch geprägten Musik folgt Elektro-Pop: Zum Soundtrack des Science-Fiction-Films „Tron: Legacy“ blitzt Stroboskop-Licht auf und lässt die Bewegungen von allen männlichen Ensemblemitgliedern wie abgehackt erscheinen. Wie Startläufer beim Staffellauf schnellen sie aus kniender Position in die Höhe und rennen los in Richtung Publikum, erstarren und spulen die Bewegungsmuster rückwärts ab. Dann vereinigen sich die rund 30 Teenager in Gruppen, in denen jeweils ein Tänzer riskant in eine Menge springt und von der Gemeinschaft aufgefangen wird – eine symbolische Demonstration von Vertrauen.

Im Finale erscheinen zu Vivaldis „Sommer“ aus den „Vier Jahreszeiten“ alle 60 Jugendlichen gemeinsam und schaffen auf ihren Schultern menschliche Pyramiden. Im Epilog schließt sich der Kreis: Zu den skandinavischen Melodien von Ólafur Arnalds aus „re:member“ tauchen wieder die vier Doppelwesen der Eingangsszene auf – Tänzer mit Kindern im Huckepack, die den fliegenden Vogel und die Rückkehr in die Freiheit symbolisieren.

Die Inszenierung geht unter die Haut

Die Inszenierung geht den Zuschauern unter die Haut, sie applaudieren im Stehen. Spontan betritt der Sohn des Gründers der Stiftung, Oliver Berger, die Bühne und bedankt sich bei den Akteuren: „Ich bin total beeindruckt, wie ihr Liebe und Leidenschaft auf die Bühne gedonnert habt. Wenn ihr das geschafft habt, dann werdet ihr alles schaffen in eurem Leben.“ Anschließend im Gespräch mit der RHEINPFALZ betont Berger, dass die Stipendiaten vor dem Tanzprojekt „mit der Hochkultur des Balletts“ noch keine Berührungspunkte hatten und sich trotz anfänglicher Ressentiments auf die Probenarbeit mit Brooks und seinem Team sehr erfolgreich eingelassen hatten.

Das Tanzprojekt „Return“ war ein Mammutprojekt, das an 39 Probentagen plus 16 Wochenenden von rund 40 Theaterleuten, Betreuern und Mitarbeitern der Stiftung gestemmt wurde. Maßgeblich zum Erfolg der Aufführung trugen die Kostüme von Andrea Uhmann bei, die mit einem Mix aus Alltags-, Sport- und asiatischer Kampfbekleidung die Jugendlichen aus 21 Nationalitäten eingekleidet hatte.

Nach der Aufführung gab es ein Stehbankett für die Familien der Darsteller. „Mein Sohn Daniel hatte vorher noch nie getanzt“, berichtete die aus Kamerun stammende und in Mannheim lebende Angela Che. „Er hat durch das Projekt seine Persönlichkeit entdeckt. Das Tanzen geht nicht nur durch den Körper, sondern auch durch die Seele, es hat eine gesamt-therapeutische Wirkung.“ Und die 17-jährige Diana aus Saarbrücken mit russischen Wurzeln, die unter den frisch gebackenen Tänzern durch ihre intuitive Körpersprache auffiel, sagte: „Es war einfach nur wow, ich konnte endlich meinen Traum vom Tanzen erfüllen. Wir sind als große Gruppe in das Tanzprojekt hineingewachsen und traurig, dass es nun vorbei ist.“ Ein kleiner Trost für die 60 erfolgreichen Tänzer: Die Kostüme der Aufführung dürfen sie behalten.

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