Frankenthal „Gegenwärtiger, als uns lieb sein mag“

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Oktober 1940, vor 75 Jahren, begann die Deportation von rund 6500 Juden aus der Pfalz, dem Saarland und aus Baden. Aus Frankenthal wurden ein paar Dutzend verschleppt. Zum Gedenken daran hat das Theater Chawwerusch aus Herxheim bei Landau ein Theaterstück konzipiert aus zeitgenössischen Dokumenten, das die Deportation der Juden aus der Pfalz ins südfranzösische Internierungslager Gurs thematisiert. Am Freitag war es im Theater Alte Werkstatt Frankenthal zu sehen.

Die Schauspielerin und Autorin Felix S. Felix hat sich für ihr Stück „Gurs – Erinnern“ von Biografien und Briefen Pfälzer Juden zu Figuren und Szenen inspirieren lassen: Vom eiligen Zusammenpacken über den strapaziösen Transport und das elende Lagerleben bis zu den Hoffnungen auf eine Ausreise in die USA – und die viel zu häufige Realität der Weiterreise nach Auschwitz, in den Tod. Historische Dokumente und eigene Texte von Michael Bauer stehen im Feldbetten-Bühnenbild neben der Nachstellung historischer Ereignisse – es spielen Felix S. Felix, Miriam Grimm, Monika Kleebauer, Thomas Kölsch und Stephan Wriecz. Mit einer expressiven Beleuchtung, einer elliptischen, verdichtenden Dramaturgie und der Musik Peter Damms (Sopransaxofon) und Michael Letzels (Akkordeon) von der Klezmer-Gruppe Django Beinhart geht das Stück unter die Haut. Ein Abend, der in durchdringender, nachdrücklicher Weise das Leid der jüdischen Bevölkerung wiedererlebbar machte, sagte Oberbürgermeister Theo Wieder (CDU) in seiner Ansprache nach der Theateraufführung. Es war ein Leid, das aus der ganz normalen deutschen Normalität entsprungen sei; einer Normalität, die in großem gesellschaftlichen Konsens Mitmenschen ihr Existenzrecht absprach. Wie habe unser Land mit seinem kulturellen Erbe und auf seinem zivilisatorischen Stand zu derartigen Furchtbarkeiten fähig sein können?, fragte er. Wieder mahnte, dass das Erinnern nicht in der Vergangenheit stecken bleiben dürfe – gerade im derzeitigen gesellschaftlichen Klima. Die Vergangenheit sei gerade gegenwärtiger, als uns lieb sein mag: „Redner auf Kundgebungen, Wortbeiträge in Talkshows oder Posts auf Facebook lassen erschrecken.“ Die „widerlichen und abstoßenden Äußerungen mancher selbst ernannter Verteidiger des Abendlandes“ seien vielleicht erste Anstöße, Hass im Denken zu Gewalt in der Tat werden zu lassen. (müh)

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