Frankenthal Smartphone häufiger als gedacht Ursache für Unfälle

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Ein Piepsen aus der Handtasche, ein Vibrieren in der Mittelkonsole – schon ist die Neugier geweckt. Der Griff zum Handy kann am Steuer eines Autos schlimme Folgen haben. Die Polizei in Frankenthal schaut inzwischen bei Unfällen ganz genau hin, ob Ablenkung als Ursache in Frage kommt.

14 – Alexander Koch macht mit einer Zahl klar, was es bedeutet, bei Tempo 50 nur eine Sekunde auf das Display seines Smartphones statt auf die Straße zu schauen. „In dieser Zeit fahren Sie 14 Meter sozusagen blind“, rechnet der Sachbearbeiter Verkehr bei der Polizeiinspektion Frankenthal vor. Eine Strecke, auf der ein Kind auf die Fahrbahn springen, die Tür eines geparkten Autos aufgehen oder ein vorausfahrender Wagen bremsen kann. So kann aus der kurzen Unachtsamkeit, dem raschen Blick in die Textnachricht ein schicksalhafter Moment werden ... Obwohl es Handys und Navigationssysteme schon eine ganze Weile gibt, aus rechtlicher und polizeilicher Sicht ist das Thema Ablenkung im Straßenverkehr und ihrer Folgen nach Kochs Einschätzung immer noch ein kompliziertes. Denn: Unter den Schlüsselnummern, die Streifenbeamte bei der Unfallaufnahme einem Tatbestand aus der Straßenverkehrsordnung zuordnen, gibt es keine eigene für Ablenkung oder Unachtsamkeit. „Das läuft derzeit alles unter der Ziffer 49 – Sonstiges“, sagt Verkehrspezialist Koch. Von den 49er-Unfällen gibt es in Frankenthal laut Polizeistatistik rund 400 jährlich. Um die 250 Kollisionen passieren außerdem an sogenannten Unfallhäufungsstellen. „Da stellt sich uns schon die Frage, wieso jemand an einer Stelle, die als kritisch bekannt ist und die er häufig passiert, in einen Auffahrunfall verwickelt wird“, sagt Alexander Koch. Der Verdacht der Frankenthaler Polizei: Hinter vielen der nicht eindeutig einer anderen Ursache zuzuordnenden Unfällen stecken welche, die dem kurzen Checken einer Whatsapp-Nachricht oder Ähnlichem geschuldet sind. Aber selbst wenn die Beamten einen vermeintlich eindeutigen Grund finden, wenn’s gekracht hat, könnte die Ursache der Griff zum Handy gewesen sein: Immerhin 650 Mal im Jahr kommt es in Frankenthal und Umgebung zu Unfällen, weil der Sicherheitsabstand nicht eingehalten wurde. Rund 137 Mal kommen Autos von der Fahrbahn ab. Koch und auch Inspektionsleiter Thomas Lebkücher sprechen von einer hohen Dunkelziffer. Denn: Verkehrsexperten in den USA gehen etwa bei jedem sechsten Unfall von Ablenkung als Ursache aus; Fachleute in Österreich glauben das sogar bei jedem dritten. Für die Stadt Frankenthal hieße das: Zwischen 280 und 560 Unfallverursacher waren mit ihren Augen und/oder Gedanken nicht auf der Straße. Die Dimension des Themas wird noch griffiger, wenn Alexander Koch eine andere Rechnung von Wissenschaftlern auf Frankenthal anwendet: Die gehen nämlich davon aus, dass auf ein geahndetes Nutzungsverbot von Mobiltetefonen 3400 nicht geahndete Verstöße kommen. „Auf das Zuständigkeitsgebiet der Polizei Frankenthal herunter gebrochen, wären dies circa 500.000 Verstöße – eine durchaus bedenkliche Anzahl“, betont Koch. Die entscheidende Frage für die Polizisten lautet: Was tun? In der Praxis ist der unter Umständen verhängnisvolle Griff zum Smartphone sehr schwer nachzuweisen. Freiwillig zugeben wird ihn zudem kaum jemand. Eine Auswertung von Handydaten ist, wie Thomas Lebkücher betont, erst ab einer gewissen Schwere des Ereignisses möglich. Immerhin: „Das ist höchstrichterlich so entschieden“, sagt der Polizeichef. Er lenkt den Blick noch auf die interessante Entwicklung der Rechtsnorm: Während die ersten Regelungen noch die Handynutzung ohne Freisprecheinrichtung untersagten, sei inzwischen eine neue Formulierung gewählt worden, die sich auf die „typischen Funktionen“ eines Geräts bezieht. In Frankenthal hat sich die Polizei für den pädagogischen Ansatz entschieden. Mitte November gab es den ersten „Tag der Ablenkung“. Damals seien an öffentlichen Orten und Brücken Transparente und Plakate platziert worden, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Bei Verkehrskontrollen und einem entsprechenden Verdacht führten die Beamten mit Fahrern ein ernstes verkehrserzieherisches Gespräch, in dem beispielsweise auch der zivilrechtliche Aspekt von Schadenersatz- oder Schmerzensgeldforderungen eine Rolle spiele. Und für erwischte Sünder gibt es keine Gnade. Die Strafe hier wie anderswo: 60 Euro und ein Punkt.

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