Frankenthal Testament einer Zwölfjährigen

Mit der Ausstellung „Kinder im Exil“ erinnert das Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum an eine Zeit, als Deutschland nicht Ziel von Flüchtlingsmassen war, sondern Menschen massenhaft vertrieben hat. Sie erzählt 26 Schicksale der Kinder von Intellektuellen und Künstlern auf der Flucht aus Nazideutschland.

„,Ist ein Flüchtling jemand, der von zu Hause hat weggehen müssen?’, fragte Anna. ,Jemand, der in einem andern Land Zuflucht sucht’, sagte Papa.“ Diese Definitionen des Flüchtlings aus unterschiedlichen Perspektiven finden sich in Judith Kerrs 1973 auch in Deutschland erschienenen Kindheitserinnerungen „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. In ihrem Jugendbuch schildert die Tochter des bedeutenden Theaterkritikers Alfred Kerr die hastige Flucht der Familie nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten aus Berlin. Über die Schweiz und Frankreich flohen das zehnjährige Mädchen und sein zwei Jahre älterer Bruder Michael mit der Mutter, einer Komponistin, nach England. Hier fand die Familie Aufnahme. Judith Kerr lebt noch heute 94-jährig in London. Ihr Bruder Michael war während des Kriegs Pilot bei der Royal Air Force, wurde später einer der führenden Juristen Englands und in den Adelsstand erhoben. Er starb 2002 hochgeehrt mit 81 Jahren. Das Zitat aus Judith Kerrs Erinnerungen hat die Kuratorin der Ausstellung, Gesine Bey von der Akademie der Künste Berlin, in die Ausstellung „Kinder im Exil“ aufgenommen. Fotografien und Texttafeln, manchmal auch Dokumente wie Ausweise, bringen den Lebensweg von 26 Kindern mit oft prominenten Namen, die im Dritten Reich mit ihrer Familie fliehen mussten, nahe. Die Eltern der meisten hatten schon in der Weimarer Republik Partei gegen die Nazis ergriffen. Viele waren obendrein stigmatisiert durch ihre jüdische Herkunft. Eine Namensliste macht deutlich: Fast die gesamte künstlerische und intellektuelle Elite verließ das Land. In der Ausstellung sind etwa die Kinder von Bert Brecht und Walter Benjamin, Arnold Zweig und Wieland Herzfelde, George Grosz und Paul Dessau vertreten und auch Ernst Bloch, der mit Frau Karola und seinem Sohn Jan Robert in die USA emigrierte. Nicht alle Fluchtgeschichten endeten so glücklich wie die der Familie Kerr. Der 21-jährige Stefan Benjamin, Sohn des Philosophen und Literaturkritikers Walter Benjamin, wurde von den Engländern als feindlicher Ausländer im Camp Victoria in Australien interniert. Kinderbuchautorin Ruth Rewald schrieb für ihre Tochter im französischen Exil das Buch „Janko der Junge aus Mexiko“. Doch den beiden war es nicht vergönnt, das Sehnsuchtsziel in Übersee zu erreichen. 1942 wurden Rewald und ihre fünfjährige Tochter nach Auschwitz deportiert und ermordet. Welche psychischen Schäden die Angst vor den Verfolgern hinterließ, lässt Barbara Brecht erahnen. 1943 schreibt die Zwölfjährige im kalifornischen Exil ihr Testament. Die Gliederung der Ausstellung nicht nach Personen, sondern nach Ländern ist ungünstig. Manche Lebenswege werden so zersplittert, etwa der des Sohnes des Verlegers Wieland Herzfelde. Nach einer Odyssee fand die Familie in den USA eine Bleibe, wo George Wyland-Herzfelde Eiskunstlauf-Profi wurde. Die Zusammenführung der Ost- und Westarchive der Akademie der Künste nach 1989 erlaubt es, auch Emigrantenschicksale in der Sowjetunion zu dokumentieren. Hier war die Lage der Exilanten durch den Hitler-Stalin-Pakt von 1938 und den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 besonders prekär. Unter den emigrierten Kindern waren Konrad und Markus Wolf, der eine in der DDR ein bedeutender Regisseur, der andere Chef der Auslandsspionage. Termin Bis 18. April im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen (Walzmühlstraße 63). Geöffnet Di und Mi 14-17, Do 14-20 Uhr.

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