Frankenthal Wenn die Harmonien aufwärts steigen

Ein spannendes, beeindruckendes und mutiges Programm hat Felix Hell am Dienstagabend in der Frankenthaler Zwölf-Apostel-Kirche gespielt. „Heldenhafte Dimensionen“ nannte er sein 16. Neujahrskonzert. Der Titel bezieht sich auf die Inhalte der Stücke und deren mächtige Größe als Kunstwerke.

Das vermutlich bekannteste Stück des Programms war kein Orgelstück: Adagio for Strings von Samuel Barber. Im Vietnamkriegsdrama „Platoon“ ist es zu hören, als Sergeant Ellis, gespielt von Willem Dafoe, von Kugeln zerfetzt wird. Die Szene, die in Zeitlupe läuft, gilt zusammen mit der Musik als einer der emotionalsten Kino-Momente der Filmgeschichte. Barbers Adagio wurde schon als „traurigstes Stück der Musikgeschichte“ beschrieben – was wohl daran liegt, dass es seit seiner Premiere 1938 zur Beerdigung von Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy, Albert Einstein, Grace Kelly und vielen anderen gespielt wurde. Doch wie klingt der Beerdigungs-Hit auf der Orgel? Hell spielt ein Arrangement von William Strickland. Nun können Streicher jeden einzelnen Ton in Klang und Lautstärke manipulieren. Die Orgel kann das nur sehr begrenzt. Das Stück beginnt sehr leise und langsam, um sich über lange Zeit zu steigern. Und das wird schwierig. Tatsächlich kann man einen Moment meinen, es könnte zäh werden. Der Moment geht vorbei, und dann wird deutlich, dass es hier um einen viel größeren Spannungsbogen geht. Es kommen ein paar Register dazu, der Klang wird lauter, die Harmonien steigen aufwärts. Diese langsame, aber stetige Zunahme von Intensität erfordert vom Organisten Nervenstärke, die Hell mit stetigem und gefasstem Voranschreiten zeigt. Das Stück endet, wie eine Kerze erlischt. Es dauert lange, bis der Applaus einsetzt. Für sich genommen entfaltet die Orgelbearbeitung durchaus Wirkung, doch die Streicher, ihr Ton und Vibrato, gehen noch etwas mehr unter die Haut. Zuvor ist noch das „Pièce Héroique“ von César Franck zu hören. Da geht es richtig zu Sache. Angeblich soll der Komponist, als er es 1878 schrieb, an die heroische französische Armee gedacht haben, die sieben Jahre zuvor von den Preußen besiegt wurde, aber – wie immer in solchen Fällen – natürlich moralisch gewonnen hat. Hin und her wiegt der Kampf, das Thema steigt entsprechend auf und ab. Und wie der Feldherr alle Truppen ins Gefecht wirft, so kommt es auch zu einem Fortissimo, bei dem Hell alles aus der Orgel herausholt. Ungewöhnliche Wendungen zwischen Dur- und Moll-Klängen und scharfen Septakkorden wirken irritierend und aufwühlend. Es folgt eine etwas ruhigere Passage mit einem Register, das man nachstimmen sollte – die Ausnahme bei der ansonsten tadellos wirkenden Orgel. Das Stück ist ein Wechselbad der Gefühle, die Hell hervorragend darstellt. Zum Ende gibt es ein mächtig brausendes Finale, das ordentlich Wirkung entfaltet. Ein mächtiger Brocken ist „Präludium und Fuge über B-A-C-H“ von Franz Liszt. Der Komponist selbst hatte sich etwas verhoben. Das Werk sollte 1855 zur Einweihung der neuen Orgel im Merseburger Dom erklingen, doch Liszt wurde nicht rechtzeitig fertig. Es sind ja auch eine ganze Menge Noten, die er da zu schreiben hatte. Das Werk ist eine wilde und rasante Fantasie und für jeden Interpreten eine echte Herausforderung. Der hat sich Hell heldenhaft gestellt – und seinen Ruf als exzellenter Virtuose nachhaltig bestätigt. Es gibt rasante Läufe und vielstimmige Akkorde, Kaskaden von Skalen, reichlich Chromatik. Im Gegensatz zu Bach hat sich Liszt auch nicht an die strenge Form der Fuge gehalten. Hell weiß die Orgel der Zwölf-Apostel-Kirche bestens zu nutzen, um Glanz, Wucht und Wirkung der Komposition darzustellen. Healey Willan ist ein anglo-kanadischer Komponist, der hauptsächlich Kirchenmusik geschrieben hat. „Introduction, Passacaglia and Fugue“ ist sein bekanntestes Orgelwerk. Interessant zu hören sind die modernen harmonischen Wendungen, während die alten Formen recht streng beachtet werden. Herausgekommen ist eine komplexe kontrapunktische Musik, was nicht immer eingängig ist, aber Eindruck macht. Auch hier gelingt es Hell, die Darstellung der Struktur mit wirkungsvollem Klang zu verbinden. Zwischen den Stücken spielt Hell noch zwei Bach-Werke, Präludium und Fuge Es-Dur BWV 552 und den Choral „Vor deinen Thron tret’ ich hiermit“ BWV 668. Als Zugabe serviert er zwei Sätze aus der Suite Gothique von Leon Boëllmann.

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