Grünstadt Bach kennt man – aber Graupner?

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Johann Sebastian Bach ist auch ein 250 Jahre nach seinem Tod weltberühmt, an seinen musikalischen Kollegen und Zeitgenossen Christoph Graupner indes erinnern sich heute nur Spezialisten. Der Kirchheimer Konzertwinter stellt im Januar mehrere von Graupners geistlichen Kantaten, alle zum Dreikönigsfest, einem der wenigen weltlichen Vokalwerke Bachs gegenüber: der humoristischen Bauernkantate.

Wenigstens einmal sind Graupner und Bach indirekt miteinander in Berührung gekommen: Als es 1722 darum ging, die heute so berühmte Stelle des Leipziger Thomaskantors neu zu besetzen, die ja bekanntlich ab dann Bach bis zu seinem Tode innehatte. Man würde ja nun aus heutiger Perspektive annehmen, dass der Leipziger Stadtrat sich bei dieser Gelegenheit nachgerade darum riss, einen so vorzüglichen Musiker wie Johann Sebastian Bach zu engagieren. Aber die Leipziger wollten einen berühmteren: Georg Friedrich Telemann in Hamburg. Der sah aber in solchem Anerbieten keineswegs eine Verbesserung seiner beruflichen Lage und empfahl wärmstens – auch nicht Bach, sondern Graupner. Der Rat ließ sich davon überzeugen – man muss nur in seine Musik hineinhören und weiß warum. Aber auch daraus wurde nichts: Graupners Dienstherr, der Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, bei dem er seit 1709 als Direktor der geistlichen wie weltlichen Hofmusik beschäftigt war, ließ ihn nicht ziehen. Das konnten die Dienstherren damals noch durchsetzen. Eine Erhöhung des ohnehin schon nicht kargen Graupner’schen Salärs half nach. So war Johann Sebastian Bach, ohne den heute gewiss wesentlich seltener vom Leipziger Thomaskantorat die Rede wäre, tatsächlich erst die dritte Wahl. Christoph Graupner ist wie Bach Mitteldeutscher, er wurde 1683 in Kirchberg am Rand des Erzgebirges geboren, ging schon früh bei seinem Onkel in die Orgellehre, folgte diesem ins Vogtland, war dann in Leipzig Schüler der Thomasschule, studierte Jura und Musik. Dann begab er sich an eine damals musikalisch interessante Stelle Europas: Ab 1705 wirkte er als Cembalist im von Reinhard Keiser geleiteten Hamburger Opernorchester, der Pflegestätte einer neuen, nicht mehr vom Adel, sondern vom wohlhabenden Bürgertum getragenen Musikkultur. Vier Jahre blieb er, komponierte mehrere erfolgreiche Opern. 1709 wurde Graupner vom Darmstadter Landgrafen entdeckt und als Hofkapellmeister engagiert. Ein Amt, das er zeitlebens behielt. Graupners Kompositionen, darunter viele geistliche Kantaten, sind in der Uni- und Landesbibliothek Darmstadt gesammelt. Dass Graupners Handschriften fast vollständig beisammen sind, liegt auch daran, dass seine Familie lange nach seinem Tod einen Prozess darum führte. Aufgrund dieser guten, aber kaum erschlossenen Quellenlage ist es in Kirchheim möglich, gleich fünf Epiphanias-Kantaten vorzustellen. Graupners Musik ist weniger mehrstimmig durchkonstruiert als die Bachs, aber nicht flach. Delikate Rhythmik weiß Graupner mit sanglicher, dem empfindsamen Stil aufgeschlossener Melodik zu verbinden. Das von dem Kirchheimer Bassbariton und Leipziger Bachpreisträger Dominik Wörner gegründete und mit vorzüglichen Kollegen der Alte-Musik-Szene besetzte Kirchheimer Bachconsort widmet sich einem Teil dieses gewaltigen Erbes. Unter Leitung der finnischen Konzertmeisterin Sirkka-Liisa Kaakinen-Pilch musiziert ein renommiertes Gesangssolistenquartett (Sarah Wegener, Sopran – Kai Wessel, Altus – Georg Poplutz, Tenor – Dominik Wörner, Bassbariton). Dabei werden fünf ausgewählte Epiphaniaskantaten in farbiger Instrumentierung (von Flauto d’amore bis Tenor-Chalumeau) dank exklusiv angefertigter Editionen wiederaufgeführt. „Auch um zu zeigen, welch immense Qualität diese zu Unrecht nahezu vergessene Musik hat“, erläutert der Veranstalter. Zu hören ist auch die letzte überlieferte geistliche Kantate Graupners, „Gott der Herr ist Sonne und Schild“, die 1754 kurz vor seiner Erblindung entstanden ist. Ihr wird die nach heutiger Datierung späteste Bachkantate von 1742, die teilweise in obersächsischer Mundart verfasste Bauernkantate, gegenübergestellt, die damals einem gewissen Kammerherrn Dieskau, einem Vorfahren mütterlicherseits des berühmten Sängers, zum 36. Geburtstag gewidmet wurde. Der SWR wird das Konzert aufzeichnen. INFO Zu hören ist das Konzert in kleiner, feiner Besetzung gleich zweimal: am Samstag, 7. Januar, um 19 Uhr und am Sonntag, 8. Januar, um 15 Uhr in Kirchheims protestantischer St.-Andreas-Kirche , wie üblich bei freiem Eintritt mit Kollekte am Ausgang. |hap

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