Grünstadt Wuchtige Sehnsucht

Beeindruckend kraftvoll, oft geradezu wuchtig und monumental, dabei klanglich erlesen und bestens intoniert gestalteten die Sopranistin Sibylla Rubens und der Bassbariton Dominik Wörner, seines Zeichens künstlerischer Leiter des Kirchheimer Konzertwinters, das Abschlusskonzert des 24. Konzertzyklusses. Reicher, begeisterter und dankbarer Applaus war ihnen gewiss, ebenso wie dem Pianisten Simon Bucher, der den Klavierpart einmal mehr plastisch, konturenscharf und wunderschön farbenreich gestaltete.

Zu hören waren die 46 Lieder des Italienischen Liederbuchs von Hugo Wolf auf Übersetzungen und Nachdichtungen von Paul Heyse, entstanden zwischen 1890 und 1896. 46 Lieder, das hört sich ungemein viel an, aber da die allermeisten nur acht oder höchstens zwölf Verse lang sind und zumeist auch rasch deklamiert werden, war das Konzert nicht übermäßig lang. Rasch konnte der Zuhörer auf eine gewisse Diskrepanz zwischen Text und Musik aufmerksam werden. Es ging – wie sollte es im italienischen Lied anders sein – um alle Facetten der Liebe. Sehn- und Eifersucht, Liebeswahnsinn und Liebestod sind in Italien, im Grunde seit es volkssprachliche Literatur gibt, zu immer neu bearbeiteten literarischen Topoi oder Allgemeinplätzen geworden. Wer immer literarisch etwas auf sich hielt, suchte sie in kunstreich gefügten Versen immer wieder anders zu besingen. Da geht es nicht mehr um Lebensvollzug, sondern zuallererst und oft ausschließlich um künstlerische Gestaltung. Insofern mochte man sich fragen, ob die Interpreten diesem Werk nicht mit etwas mehr Leichtigkeit, Distanz, gar Ironie hätten beikommen sollen, um es angenehmer zu machen. Bei näherer Bekanntschaft mit Wolfs Musik wird man es indes zunehmend für wahrscheinlich halten, dass er genau diese ungebrochene Wucht, dieses Pathos, diese starken, an die Grenze der Ausdruckspalette gehenden Lautstärken gewollt hat, die Rubens, Wörner und Bucher realisierten. Das dieses Mal dankenswerterweise nicht nur mit Künstlerviten, sondern auch mit vorzüglichen Hinweisen zu Werk, dramatisch, geradezu bösartig, Musiker und Textdichter aufwartende Programmheft gab dazu noch einen weiteren, sehr ernsten Gedanken: Nur ein Jahr nach Vollendung dieser Lieder hatte die in Wolfs Leib schon viele Jahre wütende Lustseuche Syphilis, gegen die es damals keine wirksame Hilfe gab, Wolfs Körper und Geist so zerrüttet, dass er in ein Sanatorium aufgenommen werden musste. Welche seelischen Qualen da die Kompositionsarbeit begleiteten, kann man nur ahnen. Im Resultat wird der Hörer gleichwohl eher dazu geführt, Wolfs hochtheatralische und artifizielle Weiterführung der Wagner’schen Tonsprache zu bewundern als unmittelbar ergriffen zu sein. Hören wir in einige Lieder, die meistens Rollenlieder sind, weswegen die Aufteilung auf eine Männer- und eine Frauenstimme bestens passt, hinein: Nummer 6: „Wer rief dich denn?“ Hochgradig aggressiv, dramatisch, geradezu bösartig stößt Rubens diese Zeilen hervor; ein entsprechend wegwerfender Augenaufschlag zum Bassbariton am Ende amüsiert. Immer wieder gibt es diese vom Text völlig gedeckten Schärfen, die dem Vortrag Drive geben; Wörner weiß als verletzter und mit gutem Grund empörter Liebhaber mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Das wird mit viel Wagemut, aber zugleich hochkontrolliert gesungen; und der Stimmklang bleibt bei beiden stets volltönend und klar; auch der Kontakt mit dem Klavier ist immer bestens. Wolf kombiniert klanglich raffiniert liedartiges Melos mit rezitativhafter Deklamation, nur einmal gibt es ein richtiges Strophenlied mit variierten Strophen, welches durch die Wiederholung des ersten Teils zugleich die altüberlieferte Arienform ABA hat. Zu Beginn des zweiten Teils kommen nun doch einige schelmische Texte, welche Sibylla Rubens mit Lust am verschmitzten Lächeln kraftvoll zelebriert. Dominik Wörner nimmt den scherzhaften Ton sehr schön und wohldosiert auf, gestaltet diese Passagen mit milder Präzision sacht und verhalten, um, sobald das Werk das will, in Nummer 30 scharf und zutiefst empört des Bild höchsten Verletztseins zu malen. In Nummer 33 ist es wunderbar, wie Simon Bucher am Klavier ein neblichtes, abgeschattetes Zwielicht malt, in spannungsvollem Piano, über das Wörner in langen Tönen einen leisen, aber innerlich umso aufgewühlteren Gesang legt. Im nächsten Lied beobachtet der Mann eine junge Schöne, die andächtig zur Messe geht. Wörner gibt eine verhaltene, nahezu süßliche Schilderung, aus der er momentweise brutale Begehrlichkeit hervorblitzen lässt – das ist ungemein stark gestaltet. Beide Gesangssolisten haben bis zum Schluss unerschöpfte Kraft zu hochdramatischen Ausbrüchen und wissen noch manchen frappierenden Effekt zu servieren. Dass der Applaus sie ebenso wie ihren kongenialen Begleiter am Ende lange und dankbar feiert, ist also nur verdient. Allzu groß ist dieses Publikum aber nicht. Der Konzertwinter wäre gut beraten, insoweit er sich in den Herbst und ins Frühjahr ausdehnt, die Konzerte statt um 17 erst um 19 Uhr anzusetzen.

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