Kaiserslautern Ästhetik und Verderbtheit

Über den Film- und Selbstdarsteller Helmut Berger ist schon alles geschrieben und vielleicht doch nichts gesagt worden. Dichter haben seine engelhafte Schönheit besungen, die seltsam flirrende Androgynität einer provozierenden und dennoch entrückten Sündhaftigkeit, das verlockend Sinnliche und die betörende Geschlechtslosigkeit eines irgendwo zwischen dunklem Geheimnis und lustvoller Gier oszillierenden Hedonismus. Prosaische Geister ergötzten sich am Tribut, den der sphinxische Jüngling einer unverhüllt zelebrierten Drogen- und Alkoholgier zollen musste.

So dürfen sich heterosexuelle Männer am morgigen 70. Geburtstag des lange vor der Zeit hinfälligen, aufgedunsenen und womöglich seines Intellekts verlustig gegangenen Welt- und Lebemanns damit trösten, dass Alter und Verfall selbst nach dem einst makellosen Adonis gegriffen haben. Der Helmut Berger, der vor Jahresfrist durchs TV-„Dschungelcamp“ tatterte und in Talkshows beständig Unflat nuschelt, hat nichts mehr gemein mit jenem überirdischen Marmorgeschöpf, das wie Narziss das Spiegelbild der eigenen Schönheit vergötterte und wie Dorian Gray hinter einem gleißenden Äußeren nur den Moder ruchloser Sünde zu verbergen suchte. Den Dorian Gray hat der Gastwirtssohn aus Bad Ischl, der kaum volljährig als Fotomodell jobbte, eine Schauspielausbildung abbrach und nach Rom ging, um das Glück zu suchen, in einem Film von 1970 gespielt. Es war seine erste Hauptrolle, es waren die Spätausläufer der „Roaring Sixties“, die Morgendämmerung des Wassermann-Zeitalters voller Lebenshunger und Lebensgier, Lebensfreude und Lebenswut. Sexuelle Libertinage beflügelte die Schwulen- und Lesbenbewegung − und von einem Himmel, „dem Taumel geweiht und nicht der Freude“, schwebte Helmut Berger hernieder, schön und jung und bisexuell und getrieben von einer rauschhaft-somnambulen Urkraft, die Unschuld und Sinnlichkeit in einem war. Luchino Visconti − römischer Adelsspross, Ästhet und Schöpfer grandioser Leidenschafts-Filme − machte den ranken Jüngling mit den eisblauen Augen zu seinem Star, seinem Geliebten und seiner Muse. In „Die Verdammten“ (1968) gab der über 60-Jährige seinem Geschöpf die Nebenrolle eines jungen Barons, der Erotik und Macht zur Stimulanz bizarrer Obsessionen macht. Als „Ludwig II.“ (1972) durchschreitet Berger einen fiebrigen Dschungel aus Ästhetik und Verderbtheit, in dem er letztlich an seiner Lust am eigenen Geschlecht zugrunde geht. Schließlich ließ ihn Visconti in „Gewalt und Leidenschaft“ (1974) zur Apotheose des männlichen Eros aufsteigen, dessen akademisches Scheitern sich Raum greift in lasterhafter Lustbarkeit. Nach Viscontis Tod wollte sich Berger angeblich das Leben nehmen. Er suchte nach einem neuen Image, gab den harten Actionhelden („Codename Emerald“, 1985) und den millionenschweren Windhund („Der Denver-Clan“, 1983), den wüsten Chef eines Nazi-Bordells in „Salon Kitty“ (1976) und das maskenreiche Verbrecher-Genie „Fantômas“ (1979). Dazwischen lagen publizistisch ausführlichst dokumentierte Liebschaften mit berühmten Frauen und Männern, Nacktaufnahmen in Filmen und Hochglanzmagazinen, schließlich Rüpeleien und peinliche Selbstdemontagen. Ein großer Schauspieler ist Helmut Berger nie gewesen. Was seine Wirkung ausmacht, ist die unglaubliche Präsenz seiner Physis, die Wucht einer − je nach der Perspektive des Betrachtenden − virilen, übergeschlechtlichen oder indifferenten Aura, deren irisierende Gefühlskälte sich im übergangslosen Wechsel vom gewinnenden Lächeln in sardonisches Grinsen manifestiert. Gerade in den vergangenen Jahren hatte das zwischenzeitlich wieder in Salzburg lebende Gesamtkunstwerk eine Reihe interessanter, souverän bewältigter Rollen, etwa als in die Jahre gekommener Schwuler in „Blutsfreundschaft“ (2009). Soeben war er auf dem Festival in Cannes in „Yves Saint Laurent“ als alter Modeschöpfer zu sehen − und soll dabei sehr gut bis grandios gewesen sein. Indes sind der Heros der Kinoleinwand und der bramarbasierende alte Mann von der Salzach schon seit langem nicht mehr ein und derselbe. Jener Helmut Berger, der einmal als Inkarnation maskuliner Schönheit angesehen werden konnte wie die idealisierten Götter- und Heldenplastiken des antiken Bildhauers Praxiteles, ist wieder Mensch geworden. Vielleicht schlimmer noch: ein Mensch wie wir. „Als sie eintraten“, so heißt im „Dorian Gray“ des Oscar Wilde, „sahen sie ein glänzendes Porträt ihres Herrn an der Wand hängen, wie sie ihn zuletzt geseh’n hatten, in all dem Wunder seiner köstlichen Jugend und Schönheit. Auf dem Boden aber lag ein Mann (...), welk, runzelig und abscheuerregend. Erst an den Ringen erkannten sie, wer es war.“

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