Kaiserslautern Der Erzähler der Nacht

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Ein Millionenpublikum liebt Rafik Schami. Große Romane, aber auch bezaubernde Kinderbücher – insgesamt mehr als 70 Werke – hat er verfasst, übersetzt in 29 Sprachen. Im Marbacher Literaturarchiv füllt sein Œuvre 250 Bände: Der Exil-Syrer ist einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren unserer Zeit. Heute vollendet der Wahl-Nordpfälzer sein 70. Lebensjahr.

Rafik Schamis

Ruhm ist nicht vom Himmel gefallen, im Gegenteil. Der Damaszener, der seit den 80er Jahren in Marnheim lebt, hat sich alles hart erarbeitet: schreibend, aber nicht zuletzt auch erzählend. Lange Jahre wurde er deshalb von so manchem Rezensenten als Märchenerzähler verspottet. Fast ein Jahrzehnt kam er als „Gastarbeiter“-Autor nicht so recht voran. Bis 1989, als „Erzähler der Nacht“ (Beltz & Gelberg) ihn „gerettet“ hat, wie er heute sagt. Ein Welterfolg, auf den aber auch erst 2004 sein wohl größtes Werk, der Roman „Die dunkle Seite der Liebe“ (Hanser), folgte. Wenn Schami auf Lesereise geht – zuletzt mit „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ (Hanser) – füllt er an mehr als 100 Abenden in halb Europa die Säle. Der begnadete Live-Erzähler fesselt immer wieder aufs Neue sein dankbares Publikum. Diese „Performances“ sind – wie seine Bücher oder auch Hörspiele – die Frucht einer Hauptcharaktereigenschaft des Deutsch-Syrers: unbändiger Fleiß. Nur ein Beispiel: Als Schami am 11. Juni mit dem Medienpreis „Goldenen Zeile“ des pfälzischen Journalistenverbands geehrt wurde, hielt er eine Dankesrede, die er bereits im April geschrieben hatte und dann drei Tage lang vor dem Termin, unter anderem in seinem Garten arbeitend, wie einen Diamanten zur Perfektion schliff und memorierte. Wenn Rafik Schami ein Projekt annimmt, tut er es mit aller Konsequenz. Der 1979 an der Uni Heidelberg promovierte Chemiker hat dabei einen kühlen Blick für die Stabilität von Verbindungen: dafür, was einen Text, so verschachtelt seine Elemente sein mögen, im Innersten zusammenhält. Und zugleich setzt er, der am liebsten nachts arbeitet, eine Sprache ein, die so sanft wippend daher kommt wie eine mediterrane Brise und so süß klingt wie Baklawa. Seine Liebe zum Wort entdeckte der Sohn eines aramäisch-christlichen Bäckermeisters schon als Kind. Mit dem Vater spielte er „Gedichte-Weiterspinnen“: Der eine sagte einen Vers, zum Beispiel aus der Bibel, und der andere musste einen zweiten sagen. Der begann mit dem Buchstaben, der am Ende des ersten Verses stand. Und so weiter. Wie kaum eine andere Erfahrung hat ihn erzählerisch eine Kairoer Radiosendung geprägt: Zwei Jahre, acht Monate und 28 Tage waren die Geschichten aus 1001 Nacht allabendlich zu hören. Gemeinsam mit der Mutter lauschte der spätere Weltautor immer ab 23 Uhr den Worten der Scheherazade. Und konnte danach nicht schlafen, sondern erfand seine eigenen Versionen. Mit 15 verfasste Suheil Fadél (so sein bürgerlicher Name) sein erstes Theaterstück: „Die Buchstaben“. Er zeigte es einem bekannten Damaszener Redakteur, und der war so begeistert, dass er es unter eigenem Namen veröffentlichte. Suheil („tugendhafter Morgenstern“) ließ sich nicht unterkriegen. Er, der als Kind so gern mit Murmeln gespielt hatte, erschuf einfach neue Werke, die einerseits Zeugnis enormen Spieltriebs, andererseits eben Beleg für fleißig erarbeitetes Autoren-Handwerk sind. Amin Mardini, ein Fliesenleger und Kommunist, ermutigte den 16-jährigen Suheil, für das Volk zu schreiben. Und das tat er. Und zwar unter dem Namen Rafik Schami – „Damaszener Freund“. Mit zwei Freunden entwickelte er eine kommunistische Jugendzeitschrift. In diesem Team sog er die Demokratie auf. Er glaubte an die Freiheit. Er lebte sie. Bis ein Vertreter des Zentralkomitees der kommunistischen Führung erschien und die Zeitschrift verbot. Zu viel Sexualität. Rücksichtslos gegen die Religion. Zu elitär. Rafik Schami wurde zensiert. Er tat, was aufrichtige Journalisten tun. Er gründete eine neue Zeitung. Auch „Al-Muntalak“ wurde aber verboten. Das war 1969. Im Jahr danach wurde Hafiz al-Assad, der Vater des heutigen syrischen Präsidenten, Staatschef. Schami floh nach Beirut, im März 1971 dann weiter nach Deutschland. Diese Erlebnisse haben ihn geprägt. Nie ist das so spürbar geworden wie in den vergangenen fünf Jahren, als Schami zum gefragtesten Ansprechpartner deutscher Medien in der Syrienfrage wurde. Mehr als 90 Interviews führte er allein von März 2011 bis Februar 2012. Was den heute 70-Jährigen dabei von von anderen vermeintlichen Nahostexperten unterschied, war (und ist) sein unerschütterlicher Glaube an die Demokratie. Er erklärt wie kein Zweiter, dass die Diktatur der Sippe die arabische Welt in Rückständigkeit und in Gewaltorgien, gefangen hält. Und doch betont Schami immer wieder, dass die Demokratie ein Menschenrecht ist, das natürliche Ziel von Menschen in aller Welt, egal, was ihre Religion sei, egal, in welcher Staatsform sie aufgewachsen sein mögen. Er hat Recht. 45 Jahre dauert Schamis Exil nun an. Als die RHEINPFALZ ihn 2011 im Arabischen Frühling interviewte, war er voller Hoffnung. Er sprach davon, seiner deutschen Familie – er ist mit der Schriftstellerin und Künstlerin Root Leeb („Die dicke Dame“, „Don Quijotes Schwester“) verheiratet – die Orte seiner Kindheit zu zeigen. Heute sagt der 70-Jährige, die Rückkehr sei „fast unmöglich“. Aber den Glauben an die Wahrheit des aufrechten Wortes trägt ihn, lässt ihn weiter für Syrien und für Deutschland eintreten. In seiner Rede „Der Mut, die Würde und das Wort“ sagte er 2013: „Solange die Bürger mündig sind, wird die Demokratie nicht sterben.“ Adorno zitierend, fügte er hinzu: „Mündig ist der, der für sich selbst spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet.“ So jemand ist Schami, der jüngst die Feuilletons aufmischte, als er Star-Intellektuellen wie Peter Sloterdijk in der Islam-Debatte den Spiegel vorhielt. Oder als er in einem Zeitungsbeitrag zehn Regeln für Flüchtlinge aufstellte, die in die Demokratie Deutschland gekommen sind. Dass er auf Deutsch schreibt, habe ihn befreit, erzählt der vielfach ausgezeichnete Autor (2015 mit dem Hermann-Sinsheimer-Preis der Stadt Freinsheim) oft: Das doppelbödige und „Um die Ecke“-Erzählen der Araber beruhe darauf, dass sie ständig in Angst lebten – vor der Obrigkeit, vor der Verwandtschaft. Dass der Flüchtling Schami 25-jährig – zahlreiche Manuskripte im Gepäck, aus denen er bis heute schöpft – nach Deutschland kam, war also sein Glück. Und auch für die Deutschen ist dieser Flüchtling, der einer von ihnen geworden ist und doch stets Damaskus im Herzen trägt, ein unglaublich großes Glück.

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