Kaiserslautern Die infantile Lust am Improvisieren

Das Sousaphon liegt schon bereit, aber noch spielt Roland Vanecek das E-Piano. Erwin Ditzner und Rolands Bruder Bernhard musizie
Das Sousaphon liegt schon bereit, aber noch spielt Roland Vanecek das E-Piano. Erwin Ditzner und Rolands Bruder Bernhard musizieren auf ihren Stamminstrumenten Schlagzeug und Posaune (von links).

Bereits zum elften Mal spielte das Ditzner-Twintett am Vor-Silvesterabend in Schneckenhausen. Für die Vanecek-Zwillinge war das längst zum Kult zählende Konzert in der brechend vollen Festhalle ein Heimspiel. Zusammen mit dem famosen Schlagzeuger Erwin Ditzner übten sie sich in der Kunst der freien Improvisation. Dazu passte der Überraschungsgast aus Tübingen, die Dozentin für Improvisation und Gesang Coco SaFir.

„Ho he di, ho he di, ho he di, ridihidiho.“ Wer ein Konzert mit den Vaneceks besucht, muss auf alles gefasst sein. Stets sind sie für Überraschungen gut. Zur Eröffnung sang Roland Vanecek (weinrote Hose, Wuschelkopf) mit dem Publikum mal zuerst diesen Jodelkanon – und hatte es sofort im Griff. Dann spielte das Trio und zeigte, dass sich drei Geister zusammen gefunden hatten, die sich ein Maß an Unabhängigkeit, Freiheit und infantiler Lust am Improvisieren bewahrt haben, um sich ihrer Musik im ursprünglichen Sinn des Wortes spielend zu nähern. In der Regel war es ein Standard-Song in der 32-taktigen Liedform – der AABA-Form unserer Volkslieder, in der der achttaktige Hauptgedanke (A) zunächst von Bernhard Vanecek auf der Posaune vorgestellt und dann noch einmal wiederholt wurde. Darauf folgte im Mittelteil ein neuer Gedanke (B), und am Schluss kamen sie auf das Thema des Anfangs (A) zurück. Den Mittelteil schmückte, ornamentierte Bernhard nicht nur aus, er legte gänzlich neue melodische Linien über die gegebenen Harmonien: eine Improvisationsweise, die der Jazzer als Chorus-Phrase bezeichnet. Auch Roland am E-Piano improvisierte in demselben Stil und schien dabei völlig im Moment zu leben. Zwischen den beiden brannte stets die Luft: Egal, ob sie einen Calypso peitschten, sich über einen Reggae hermachten, Mozart mit Dave Brubeck mixten oder neues, eigenes Material erspielten. Stets war die Improvisation der ganz persönliche Ausdruck ihrer musikalischen, gefühlsmäßigen und geistigen Situation. Gleichzeitig waren sie dabei Improvisator, Komponist und Interpret. Jedes Kalkül blieb außen vor, von einem wilden Durcheinander konnte aber keine Rede sein. Roland verkörperte das Ideal der Emanzipation der Tuba, hier dem Sousaphon. Sein ungeheuer geschmeidiges Spiel ist gleichsam eine Neubewertung dieses eigentlich schwerfälligen Instruments. Was an ihm auffiel, war seine ungeheure Robustheit, Schwere, Dichte. Der Ton: ursprünglich, rustikal und extrovertiert, voller wilder Leidenschaft. Genauso leidenschaftlich machte er sich über das E-Piano her. Er wurde eins mit seinem Instrument, wenn er aus dem Pianissimo heraus sich langsam über Arpeggien steigerte und schließlich, ähnlich wie McCoy Tyner, kraftvoll swingend in den Tasten wühlte. Bernhard erzielte auf seiner Posaune dazu eine Brillanz von geradezu explosiver Wirkung. Als einer der originellsten Schlagzeuger unserer Zeit zeigte sich Erwin Ditzner. Dogmen sind ihm ein Graus. Seine Originalität schöpfte er völlig aus sich heraus. Und sein Handwerk verstand er atemberaubend. Wobei das Drum-Set auf ein Minimum geschrumpft war. Selten tut ein Drummer mit so wenig so viel. Dabei ist er ein Virtuose sensitiver, feinmaschiger Rhythmen. Er hat die Filigranität eines Tony Williams und die Vitalität eines Elvin Jones. Manchmal erzielte er eine fast orchestrale Vielfalt an Farben und rhythmischen Bewegungen. Sensationell war der Auftritt von Coco SaFir im safrangelben Minikleid. Auf subtile und originelle Weise fragmentierte sie mit ihrer glockenhellen Stimme die Noten und sang dabei nicht etwa in einer fremden, unbekannten Sprache, sondern improvisierte völlig frei. Ihre Interpretationen waren gespickt mit unerwarteten Stimmungsumschwüngen, mit explodierenden Rhythmuswechseln und expressiven, emotional aufgeladenen Phrasierungen. „Ich versuche das Innere hörbar zu machen und lasse mich dabei inspirieren von der tollen Stimmung im Saal und von meinen zauberhaften Kindern, die mir ganz feste die Daumen drückten“, sagte sie im RHEINPFALZ-Gespräch. Drei Zugaben.

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