Kaiserslautern Leben und leben lassen

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Unmöglich war es, von diesem Schauspiel „Honig im Kopf“ nicht berührt zu werden. Die bewegende Tragikomödie basiert auf dem gleichnamigen Film von Til Schweiger mit Dieter Hallervorden in der Hauptrolle und wurde als besucherstärkster Film des Jahres 2015 ausgezeichnet. Am Freitagabend beeindruckte die Komödie am Altstadtmarkt, Braunschweig, in der ausverkauften Landstuhler Stadthalle mit diesem Stück.

Mit der Beerdigung seiner Frau Margarete fängt alles an. Dass der 70-jährige Amandus (Achim Wolff) hier wirres Zeug redet, ist noch verständlich. Doch als er seine verstorbene Frau bei der Polizei als vermisst meldet, ist die Familie alarmiert. Amandus hat Alzheimer. Unmöglich, ihn sich selbst zu überlassen. Sohn Niko (Karsten Speck) besteht darauf, dass Opa bei ihm und seiner Familie einzieht. Eine Zumutung allerdings ist der unberechenbare alte Herr für seine penible Schwiegertochter Sarah (Astrid Kohrs). Er nervt ganz schön und ist eine zusätzliche Belastung für die ohnehin angeschlagene Ehe. Nur Tilda (Anne Bedenbender) bringt Verständnis für den wirren Opa auf. „Mein Opa hat Alzheimer. Die Menschen, die das haben, vergessen ganz viel“, sagt sie. „Klar, ich erinnere mich auch ganz oft nicht mehr, welche Hausaufgaben ich aufhabe oder vergesse, die Zähne zu putzen. Aber bei Opa ist das ein bisschen anders.“ Wie sich Alzheimer eigentlich anfühle, fragt sie Opa. „Wie Honig im Kopf“, antwortet er. „Alles ist so klebrig und so.“ Alle Dinge, die ihm wichtig waren, verlieren an Bedeutung. Die Familie versucht es mit guten therapeutischen Ansätzen, indem sie dem Kranken Aufgaben im Haus erteilt. Bloß geht das ganz schön in die Hose. Während die Schwiegertochter deswegen am Verzweifeln ist, bringt Sohn Niko für alles Verständnis auf. Als aber Amandus das schicke Sommerfest buchstäblich nahezu sprengt und die Familie in eine brandgefährliche Situation bringt, sieht auch Niko keinen anderen Ausweg mehr. Amandus muss in ein Pflegeheim. Das aber will die resolute Tilda nicht zulassen. Sie entführt ihren Opa auf eine Reise nach Venedig, wo er Oma vor 40 Jahren den Heiratsantrag gemacht hat. „Honig im Kopf“ versucht sich an einem ernsten Thema, das gerade in der Zeit des demografischen Wandels immer mehr an Bedeutung gewinnt. Humor und Emotionalität werden in diesem Stück, für dessen Bühnenfassung der Autor Florian Battermann und der Regisseur René Heinersdorff verantwortlich sind, großgeschrieben. Die Balance zwischen liebevoller Annäherung, erlösendem Witz und fast schon märchenhaftem Roadtrip ist wunderbar geglückt. Nicht zuletzt dank des grandiosen Hauptdarstellers. Denn dem 78-jährigen Achim Wolff gelingt der Balanceakt einer bewegenden Tragikomödie, die der grässlichen Krankheit Alzheimer mit richtigem Humor Paroli bietet. Auch versteht er es, die innere Leere seiner Figur zu transportieren. Als zunehmend umnachteter Großvater läuft er zur Höchstform auf. Schier knuddeln könnte man Anne Bedenbender in ihrer Rolle als resolute Enkelin. Charmant und unverkrampft sorgt sie für den unbefangenen Blick. In ihrer kindlichen Naivität weiß sie stets das richtige Rezept dafür, wie man am besten mit dem kranken Opa umgeht: Sie hört ihm zu, wenn er von früher erzählt, kann sich dabei gut in ihre Rolle hineinversetzen und zeigt viele Emotionen. Ihre Eltern hingegen, besonders Sarah, behandeln den Großvater eher als Kleiderständer, den sie am liebsten beliebig von einer Ecke in die andere Ecke stellen würden. Trotzdem: Von der Art, wie Niko dem an Demenz erkrankten Vater begegnet und mit ihm kommuniziert, könnten sich viele eine dicke Scheibe abschneiden. Immer wieder muss man gerade diesen wertschätzenden Umgang bewundern, dessen Grundsatz heißt: den Kranken in seiner eigenen Welt leben zu lassen und ihn nicht ständig zu korrigieren. Auch scheinbar verrücktes Verhalten wird ernst genommen und zu verstehen versucht. Unter dieser Sichtweise finden auch Karsten Speck und Astrid Kohrs ihre fabelhafte Ausdruckskraft. Welch kühner Coup! Ein denkbar heikles Thema wird hier ausgezeichnet auf die Bühne gebracht, auch wenn extreme Begleitumstände des Leidens wie Aggressivität ausgespart werden.

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