Kaiserslautern Schonzeit ist abgelaufen

Bereicherte als Gast den jüngsten Untier-Streich: Fee Badenius.
Bereicherte als Gast den jüngsten Untier-Streich: Fee Badenius.

Ein Rekordsommer, der auch kabarettistisch für die Untiere keine Flaute war, geht fließend über in einen „Goldenen Oktober“, in dem die Akteure um Leitwolf Wolfgang Marschall Jagd auf politisches Freiwild machen. So mit manch gezieltem Blattschuss auf lokal- bis bundespolitische Spottfiguren am Donnerstag im Edith-Stein-Haus.

In Marschalls Rück- und Ausblick (auf die nahende Kommunalwahl) fiel ihm hinsichtlich zweier Amtswechsel nach Speyer (Dekanin Wüst und Stadtbürgermeisterin Wimmer-Leonhardt) eine allgemein erheiternde Metapher ein: die Domstadt als Endlager. Daneben bemühte er eine Neuauflage des Gleichnisses vom verlorenen Sohn, um den Landtagsabgeordneten Andreas Rahm zu karikieren. Bürgermeisterkandidat und Beigeordneter Peter Kiefer ist bei den Untieren eine gesetzte Größe ob seines Prinzips des „ruhenden und entschleunigten Verkehrs“. Jetzt kam er in einer Liaison mit der Baufirma Horn zu „Ehren“. Angesichts auf Leinwand eingeblendeten Baustellenabsperrungen zog Marschall eine Analogie zu modernen Plastiken. Seit Jahren ergänzt Marschall erfolgreich politisches Kabarett durch philosophische Anwandlungen und durch einen Anflug von Selbstironie: Im ersten Fall konstatierte er bedeutungsschwer, dass im Herbst die Natur alle Farbreserven mobilisiere, der Mensch aber in dieser Lebensphase ergraue. Die Vergänglichkeit war dann auch das zentrale Thema des Oktoberliedes, das Marina Tamassy und diesmal der Pianist Matthias Stoffel im Stile von Schubertliedern gekonnt und einfühlsam anstimmten. Da kamen Assoziationen an Schuberts „Winterreise“ auf – schmerzlich, schwermütig und doch im Vortrag auch zugleich optimistisch stimmend. Stoffels figurative Umspielungen in eingängigen Akkordbrechungen erinnern stilistisch auch etwas an den balladesken Tonfall von Richard Clayderman. Was Marschalls Selbstironie anbelangt, widmete er dem Toilettenstuhl als Thron bei reflektierenden und literarischen Betrachtungen eine Aufwertung: „Bei Reizdarm bitte eine reizarme Lektüre“, empfahl er und sinnierte in Aphorismen und Sprichwörtern, die er allerdings teilweise ad absurdum führte. Im nostalgischen Rückblick auf seine Schulzeit bastelte er mit einem Mitschüler an einer Rakete und schilderte, wie sich pfälzische Pioniere beinahe auf den Weg in entfernte Galaxien aufgemacht hätten. Hier spielten der Konjunktiv eine sprachlich entscheidende Rolle. Wie viele Mitbürger wird auch Marschall immer mal wieder mit dem perfektionierten Staatsapparat und seinen Mechanismen konfrontiert, so auch beim Verteilen (hier unberechtigter) Strafzettel bei angeblichen Ordnungswidrigkeiten. Nur macht er einen Sketch daraus, der zwischen Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ und Kleists „Kohlhaas“ changiert und den Saal zum Toben bringt, wenn er den Spieß umdreht: So verlangte er für seine Aufwendungen Bearbeitungsgebühren, was immerhin zu einer schriftlichen Belehrung führte. Wer führt hier wen vor? In ihrer Paraderolle als Mutti Merkel bilanzierte Tamassy die Wahlschlappen der Union lapidar und süffisant: Nicht Berlin habe Bayern geschadet, sondern umgekehrt. Besinnliches und Satirisches der Untiere fanden in den Beiträgen des Gaststars Fee Badenia eine ideale Ergänzung: Die Liedermacherin und Musikkabarettistin aus dem Ruhrgebiet bevorzugt die vordergründig sanften Töne, ist keine „Wutbürgerin“ und auch keine Parodistin. Vielmehr haben ihre Lieder autobiographische Züge, sind im Tonfall mehr Chansons und weniger larmoyant, als vielmehr charmant vorgetragen. Sie kokettiert mit ihrer einschmeichelnden Stimme, besingt Partnerschaftsprobleme und kämpft in gespielter Verzweiflung mit Alltagssorgen im Lied übers Abnehmen. Melodische Erfindung, dazu passender Rhythmus und gekonnte Gitarrenbegleitung bilden eine wunderbare Einheit. Das Beste zum Schluss: In einem Sketch wurde RHEINPFALZ-Redaktionsleiter Hans-Joachim Redzimski „geadelt“: Durch seine Aufklärungsbemühungen im Fall des angeblichen Videobeweises eines B-Klassenspiels sei Lautern bundesweit hervorgetreten – als Ort zwischen Mölschbach und Hochspeyer, so Marschalls Ode an die Barbarossastadt.

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