Kaiserslautern „Was danach kommt, macht mir Angst“

91-73426754.jpg

Juliette Gréco, die große alte Dame des französischen Chansons, sagt Adieu. Ein paar Konzerte will sie noch geben, dann soll Schluss sein. Bevor sie die Bühne verlässt, spricht sie über die Angst vor dem Danach, ihre Freude am Rap oder auch über ihr besonderes Verhältnis zu Deutschland. Mit der 1927 geborenen Gréco sprach unser Frankreich-Korrespondent Axel Veiel.

Haben Sie nach fast 70 Jahren auf der Bühne noch Lampenfieber?

Aber sicher habe ich das, jetzt erst recht, da meine letzten Auftritte anstehen. Was tun Sie dagegen? Ich singe, das ist alles. Wenn ich singe, vergesse ich den Rest. Dann sind wir nur noch zu zweit, das Publikum und ich. Gleich zu Beginn, noch bevor ich anfange, spüre ich, ob die Stimmung im Saal mir gewogen ist oder nicht. In den vergangenen Jahren war sie mir erfreulicherweise immer gewogen. Welche der mehr als 400 Lieder Ihres Repertoires haben Sie ausgewählt für die letzten Konzerte? Ich habe die ganz alten Lieder wieder herausgesucht, Jacques Brel zumal. Ich habe mich für das entschieden, was die Leute von mir erwarten. Sicherlich bin ich von der Persönlichkeit her jemand, der sich nicht so sehr nach den Erwartungen der anderen richtet, sondern macht, was er will. Aber ich will dem Publikum gerade zum Schluss noch einmal entgegenkommen und Dankeschön sagen. Werden Sie auch Lieder singen, zu denen Ihre Freunde Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Albert Camus einst den Text beigesteuert haben? Nein, sie sind nicht dabei. Die Auswahl der Lieder für meine Abschiedskonzerte kann ich schwer erklären. Letztlich war das Gefühlssache, das Herz hat mir das Repertoire diktiert. Ihre Abschiedstournee wird Sie auch nach Deutschland und Italien führen. Glauben Sie, dass das Publikum im Ausland ihre Texte versteht? Das weiß ich nicht. Aber die Botschaft eines Chansons kommt ja auf vielfältige Weise herüber. Mimik, Gestik und die Intonation eines Liedes vermitteln ebenfalls, um was es geht. Immer wieder bekam ich aus dem Publikum zu hören: Ich spreche zwar kein Französisch, aber ich verstehe Ihre Chansons. Was ist geblieben von der legendären Zeit, da das Pariser Viertel Saint-Germain-des-Prés, das Café de Flore, der Mittelpunkt intellektuellen, künstlerischen Lebens war und Sie mitten drin in diesem atemberaubenden Treiben? Ich selbst bin übriggeblieben, sonst nichts (lacht). Nein, da gibt’s schon noch mehr. Da sind ja auch noch die Werke dieser Vordenker, ihre Literatur, ihre Philosophie. Auch habe ich von ihnen eine Menge gelernt. Sie waren sehr wichtig für mich. Dank ihnen bin ich weniger blöd (lacht erneut). Sie haben mich gelehrt, neugierig zu sein. Nein, das stimmt nicht. Neugierig war ich schon immer. Aber Verantwortungsgefühl und Toleranz, das haben sie mir beigebracht. Auch habe ich von ihnen viel über Literatur gelernt. Ich hatte in meinem Leben schon wahnsinniges Glück. Sie alle zählten in Paris damals zur linken Avantgarde. Werden Sie nicht nostalgisch, wenn Sie den Zustand der heutigen Linken sehen und die Erfolge der Rechtspopulistin Marine Le Pen? Da werde ich nicht nostalgisch, da werde ich zornig. Konsequenzen hat das leider keine. Da ist nur meine große Unruhe, meine große Sorge angesichts der politischen Entwicklung. Wenn meine verstorbene Mutter auf die Erde zurückkehren würde, wäre sie sehr zornig und sehr traurig. Vermutlich würde sie sagen: All die Kriege, all die Toten, haben wir denn nichts daraus gelernt? Ihre Mutter und Ihre Schwester waren im Konzentrationslager Ravensbrück, Sie selbst kamen während der deutschen Besatzung in Haft. Wie ist es für Sie, vor deutschem Publikum aufzutreten? Es ist wichtig, dass nicht der Hass Platz greift. Die Kinder und Enkel können ja nichts für das, was die Eltern und Großeltern getan haben. Auch waren nicht alle Deutschen Nazis. Ich mag Deutschland, ich singe gern vor deutschem Publikum. Was aber nicht heißt, dass ich die Dinge von damals dem Vergessen überantwortet hätte. Ich habe sie ganz und gar nicht vergessen. Man muss mit der Erinnerung leben und die Lehren daraus ziehen. So bin ich etwa ganz bewusst zu Zeiten des Diktators Augusto Pinochet nach Chile gereist und habe dort gesungen, was die Mächtigen ganz und gar nicht gefreut hat. Ich bin in Chile zwar sehr warmherzig empfangen worden. Aber als sie dann meine Lieder gehört haben, waren sie überhaupt nicht mehr nett. Gibt es Nachwuchssängerinnen oder -sänger, die da weitermachen, wo Sie aufhören werden? Ja, da sind junge Leute, die musikalisch etwas mitzuteilen haben, die Rapper zumal. Sie sind furchtlos und direkt. Sie nennen die Dinge beim Namen. Das gefällt mir. Wo nehmen Sie denn die Kraft, um mit 88 Jahren auf Tournee zu gehen? Das weiß ich selbst nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Gibt Ihnen Kraft, dass Ihr Ehemann Gérard als Arrangeur und Pianist mit auf der Bühne ist? Kraft gibt das nicht wirklich, er ermüdet schneller als ich, dabei ist er jünger. Wann und wo werden sie zum allerletzten Mal auf der Bühne stehen? Auch das weiß ich nicht. In einem Jahr wird es wohl soweit sein. Ich lasse den genauen Termin offen. Ich möchte aufhören, solange die Leute mich noch vermissen. Ich will nicht so lange singen, bis sie nur noch aus Mitleid kommen, bis sie sagen: „Ach die Arme!“ Mein Körper hat das letzte Wort darüber, wann ich aufhören werde. Was nach meinem letzten Auftritt kommt, weiß ich auch nicht. Ich möchte es auch gar nicht wissen. Es macht mir Angst.

x