Kaiserslautern Zeit vergeht, Ewigkeit bleibt

Von Politik war keine Rede – jedenfalls nicht bezüglich Ukraine-Krise oder Homophobie in Russland – beim jüngsten Auftritt von Valery Gergiev mit seinem Mariinsky-Theater St. Petersburg im Festspielhaus Baden-Baden. Der Dirigent hatte jüngst ja mehrfach Position für seinen Freund und Präsidenten Putin bezogen. Stattdessen ist von einer musikalisch höchst eindrucksvollen Aufführung von Verdis „Don Carlo“ zu sprechen.

In der Opernhandlung spielt Politik natürlich eine große Rolle, doch auch die wird in der neuen Inszenierung von Giorgio Barberio Corsetti eher in den Hintergrund gerückt. Mit den Worten „Zeit vergeht, Ewigkeit bleibt“, die mehrfach während der viereinhalb Stunden eingeblendet werden – gespielt wird die fünfaktige Fassung in italienischer Sprache –, tritt die religiöse Dimension des Werks in den Vordergrund. Das Bühnenbild des fünften Aktes besteht vor einem schwarzen Vorhang gleichsam nur noch aus diesem zentralen Spruch. Abgesehen von einer großen Zahl von Video-Einblendungen, darunter einer aparten Himmelfahrt der Opfer der Ketzerverbrennung im dritten Akt, sind der optischen Reizmittel in Corsettis Regie nicht gerade viele. Auch die Personenregie hält sich mit ihrer Ausdruckskraft in Grenzen. Der Regisseur macht weder große Oper – wie vor einem halben Jahr Altmeister Peter Stein in Salzburg – noch beschwört er die düstere Stimmung des Werks. Er liefert in der Tendenz ein eher abstraktes und auf kunstgeschichtliche und philosophisch-theologische Assoziationen zielendes Arrangement. Die Kostüme verbleiben dabei im 16. Jahrhundert. Aus dem Geist von Verdis Musik direkt in die Gegenwart, weil das Publikum von heute stark bewegend, führt dagegen Valery Gergievs Dirigat. Der russische Maestro wählt fast durchgängig sehr fließende Zeitmaße, was den melodischen Fluss sehr intensiv und lebendig macht. Er setzt mit einem plastischen und vielfarbigen Klang niemals knallige, sondern immer dramaturgisch vielsagende Akzente. Das Drama findet im Orchester statt. Die Musiker des Mariinsky Orchesters zeigen sich dabei einmal mehr in grandioser Form. Auch die Besetzung kann mit einigen Glanzleistungen aufwarten. Vor allem Ildar Abdrazakov in der tragenden Rolle des Philipp II. überzeugt als sehr weich und gesanglich agierender Bassist, dessen Stimme zudem über eine Fülle von Zwischentönen verfügt. Sehr kultiviert und präzise in der Diktion singt Ekaterina Gubanova die Prinzessin Eboli. Viktoria Yastrebova gibt eine würdige und in allen Lagen und Tönen ausgeglichen singende Elisabeth. Der junge koreanische Tenor Yonghoon Lee entfaltet in der Titelrolle gewaltig viel stimmlicher Kraft, bleibt aber die feineren und lyrischen Nuancen der Partie schuldig. Eher dezent singt dagegen Vladislav Sulimsky den Marquis von Posa. In seiner großen Arie am Ende des vierten Aktes aber findet er zu hoch expressivem Vortrag. Einen imposanten und durchaus robusten Großinquisitor gibt Sergei Aleksashkin. Sehr brillant agiert Marina Aleshonkova als Tebaldo. Die Stimme vom Himmel (Anastasia Kalagina) klingt diesmal wirklich aus der höchsten Höhe des Festspielhauses. Wie immer von besonderer Klangpracht sind die Chöre.

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