Karlsruhe Die Kunst des selektiven Weghörens

Wenn bloß die Leut′ nicht wären! Mit den Schlosslichtspielen gönnt sich die Stadt zu ihrem 300. Geburtstag ein ganz und gar extraordinäres Geschenk.

Karlsruhe

. Organisiert und verwaltet wird das allabendliche Spektakel, über das schon weltweit berichtet wurde und das vor Ort schon mehrere Hunderttausend Menschen bestaunt haben, vom Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) mit Peter Weibel an der Spitze. Seit dem 20. Juni heißt es nach Einbruch der Dunkelheit: kommen, sehen, hören und staunen. Was renommierte Künstler und Künstlergruppen auf die 170 Meter lange Schlossfassade zaubern, ist schlichtweg grandios. Da die Tage immer kürzer werden, beginnt das Spektakel nun schon um 20.30 Uhr und damit zu einer wesentlich christlicheren Zeit als 22 Uhr zu Beginn des Sommers. Und wer genügend Kondition mit bringt, der könnte inzwischen auch über drei Stunden lang schauen – wenn, ja wenn bloß die Leut′ nicht wären. Also nicht die Vielen, sondern eher die Wenigen. Noch immer lassen die meisten fast ehrfürchtig das Gesamtkunstwerk aus Bild und Ton auf sich wirken, doch es gibt auch jene, die sich als essenziellen Teil der Show betrachten. Die „Adabeis“, also jene Spezies von Mensch, die sich später rühmen will, „auch dabei“ gewesen zu sein. Da wird bis zu 15 Minuten am Stück und praktisch ohne Luft zu holen geplappert, in hinreichender Lautstärke und ohne einen Blick auf die „Leinwand“ versteht sich. Im mittleren Bereich des Schlossplatzes geht da schon mal die ein oder andere, leise Musikpassagen verschütt. Weiter vorne, vor den beiden Wächterhäuschen, ist es nur bedingt besser. Zwar gibt es je nach Standort tolle Sichtweisen und die Musik dröhnt mit mächtigen Tönen aus den Lautsprechern, doch das führt nur dazu, dass die Partygesellschaften brüllen müssen, um sich verständlich zu machen. Meist wird extrem fades Zeug erzählt. Wer wieder mal zu viel gesoffen hat, wer sich blamierte oder wer mit wem auf der Party war. Kurzum nichts, was man als Unbeteiligter hören will, während auf der Leinwand gerade das Schloss virtuell im- oder explodiert. Zwischendurch wird dann noch das Mobiltelefon gezückt, um das Geschehen auf und abseits der Leinwand fest zu halten. Man weiß ja nie. Früher war vermutlich doch so manches besser. Früher, also vor kaum zwei Monaten, da füllten an warmen Abenden große Menschenmassen den Schlossplatz. Andächtig ließ man die Faszination Schlosslichtspiele auf sich wirken. Stand jemand zu sehr in der Blickachse oder wurde zu laut, dann hat schnell die soziale Kontrolle gegriffen, nicht laut, aber bestimmt. Jetzt hilft manchmal nur noch unendlicher Gleichmut und die Kunst des selektiven Weghörens.

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