Wir über uns Von einem platten Reifen und einem Engel

So kann die Fahrt nicht weitergehen.
So kann die Fahrt nicht weitergehen.

Manchmal schickt einem der Himmel einen Engel. Die Fahrt nach Zweibrücken ins Seniorenheim zu meiner 95-jährigen Zweitmutter aus Kindertagen war länger schon geplant; ein Sonntagnachmittag, verkehrstechnisch mit Lkw-freier B10 und meinerseits Vorfreude auf die Stadt meiner Jugend und die rüstige, stets gut gelaunte Mama Juliane.

Aus dem Radio ergoss sich Bruckners 7. Sinfonie euphorisierend in die Gehörgänge, den kleinen Klack kurz vor der A65-Abfahrt Landau-Nord nahm ich kaum wahr, den kramte mein Gehirn erst hernach aus dem Hirnareal für Marginales. Aber da gab’s ein befremdliches Geraune vom Heck meines Autos – Bruckners Klangrausch her oder hin. Windböen? Kofferraumdeckel offen? Aber kein rotes Warnlicht blinkte auf. Mittlerweile war die B10 erreicht, der Krach im hinteren Teil schien insistieren zu wollen, und beim Blick im Rückspiegel gewahrte ich Morsezeichen meines Nachfahrers in Form von Lichtsignalen und Warnblink-Hupe.

Die niederschmetternde Kunde kommt schnell

Aber Herrgott – wo hier bloß anhalten? Mitten in der Schmalspurbahnen-Baustelle und einem Konvolut von motorisierten Feiertagsausflüglern. Schließlich habe ich mich dann – Warnblinker an – doch getraut zu stoppen, halbseitig im schmalen, auch noch abschüssigen Grasstreifen rechts. Mein Signalgeber überholte, parkte sein Fahrzeug unmittelbar vor mir. Er hatte die niederschmetternde Kunde: „Ihr rechter Hinterreifen ist platt.“ Prompte Panik-Attacke meinerseits, (noch) nicht Mitglied im ADAC und technisch mit gefühlt mehr als zwei linken Daumen gesegnet. Reifenwechsel? Na klar – damals, zur Führerscheinprüfung, Lichtjahre vor heute entfernt.

Aber da hat mein unbekannter Retter schon den Kofferraum geöffnet, kramt nach Wagenheber und Ersatzrad, zieht sich (und mir!) eine Warnweste über und saust nach vorne, um den Warnblinker zu deponieren. Mittlerweile ist auch seine Frau ausgestiegen und startet augenblicklich ihr Nervenberuhigungsprogramm. Keine Sorge – er kann das – ginge mir genauso – wäre ich auch überfordert – beruhigen Sie sich – haben wir doch gleich …

Ob wohl andere auch geholfen hätten?

Mein Retter namens Aleksej – das hatte ich mittlerweile herausbekommen – fahndet inzwischen nach einem Stein, Holz oder Ähnlichem, da der Wagenheber in der weichen Grasnarbe versinkt; klappt auch. Das Ersatzrad ist flott gegen den Reifenschrott getauscht. So flott, dass meine zweite Panikwelle schon im Auffluten verkümmert. „Alles gut, Sie können fahren.“

Und wie ich mich erkenntlich zeigen könnte? Ach was, beide winken energisch ab – sei doch selbstverständlich, dass man hilft. Da wäre man selbst doch auch froh, meinte Aleksej. Momentweise schießt mir die Frage durch den Kopf, wie viele meiner deutschen Landsleute wohl der ollen Oma am gefährlichen Straßenrand so umstandslos geholfen hätten?

Und Aleksejs überaus herzliche Frau – Ludmilla? Natascha? Tonja? Das hab ich in meiner Aufgeregtheit ganz vergessen zu fragen – umarmt mich kurz. „Kommen Sie gut nach Hause, ade!“ Manchmal schickt der Himmel einen Engel. Oder zwei. Meine hießen diesmal Aleksej und, sagen wir, Tonja.

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