Ludwigshafen Bedingungslose Zuneigung

Das Frank-Chastenier-Trio sorgte bei der Lesung von Roger Willemsens Texten über Musik für passende Klänge.
Das Frank-Chastenier-Trio sorgte bei der Lesung von Roger Willemsens Texten über Musik für passende Klänge.

Ein Buch über Musik hat er nie veröffentlicht. Aber aus zahllosen Moderationen, Kolumnen, Rezensionen und Essays, die sich im Nachlass des vor drei Jahren verstorbenen Roger Willemsen fanden, ist nun doch ein solches entstanden. „Musik! Über ein Lebensgefühl“ ist der von Insa Wilke herausgegebene Band betitelt. Beim Mannheimer Literaturfest „Lesen Hören“ wurde daraus gelesen. Und Musik gab es natürlich auch.

Dass er sich auch mit Modern Talking und Helene Fischer beschäftigt hat, überrascht. Wenn Roger Willemsen sich über Musik äußerte, ging es in der Regel um klassische Komponisten und Jazzmusiker. Immer hatten seine klugen Analysen etwas Schwärmerisches, Begeistertes, eine nicht selten fassungslose Hingabe, die Haltung eines frisch Verliebten, der der ganzen Welt mitteilen muss, wie großartig die Angebetete doch ist. Die Liste dieser Liebschaften ist lang: Scarlatti, Haydn, Ellington, Brubeck, Billy Holiday, Charles Mingus, Bill Evans, Sonny Rollins, John Coltrane. Aber Dieter Bohlen und Helene Fischer? Aber auch hier ist es Liebe, natürlich nicht die Liebe zu diesen marktgerechten Mainstream-Apologeten, die aus „den Schnürboden der Stadthallen“ auf uns herunterschweben und sich als „Geschmacksverstärker für jedes Produkt“ werbewirksam verwenden lassen. Willemsen greift hier zu einer rhetorischen Form, die man gar nicht bei ihm vermutet hätte: galligen Sarkasmus. Aber seine Liebe zur Musik ist einfach zu unabdingbar, als dass er angesichts des „größten gemeinsamen Einfachen“, das er bei Helene Fischers Schlagerparade diagnostiziert, gelassen bleiben könnte. Natürlich beschäftigte sich Willemsen lieber mit den wahren Könnern, den Musikgenies, die unbeirrt von Publikumszuspruch und Verkaufszahlen ihren Weg gehen. Dann erzählte er von Rossini, der in der Mitte seines Lebens lieber kochen wollte als Opern schreiben, untersuchte die kunstvollen Liebeslieder des Jazzsängers Andy Bey, denen er „die Sinnlichkeit einer intimen Offenbarung“ zusprach, oder behauptete vom Pianisten Earl Hines, dass der „Strom seiner Einfälle“ das Klavier überhaupt erst in den Status eines Soloinstruments im Jazz erhob. Den Jargon der Fachleute vermeidet Willemsen beharrlich. Wie in den Reportagebüchern, die ihn neben seinen TV-Sendungen bekannt gemacht haben, erzählt er Geschichten, liebt das Anekdotenhafte, das Randständige, in dem sich manchmal die Wahrheit verbirgt. Da gibt es zum Beispiel die wunderbare und wundersame Geschichte von Charles Lloyd und Michel Petrucciani. Der amerikanische Jazzsaxophonist hatte es in den 1960er-Jahren schon in den Rang eines Popstars gebracht, als er drogenumrauscht in eine Sinnkrise stürzte und sich zehn Jahre lang nach Big Sur in eine Höhle zurückzog und meditierte. In einem indischen Traktat fand er die Prophezeiung, „ein Mann mit gebogenen Knochen“ würde ihn erlösen. Und dann tauchte plötzlich ein junger französischer Pianist, der seit seiner Geburt die Glasknochenkrankheit hatte und nur einen Meter groß war, bei ihm auf und überredete ihn, wieder Musik zu machen. Für Lloyd begann eine zweite Karriere, die bis heute andauert. Auch Petrucciani wurde ein Jazzstar, nicht zuletzt, weil ihn Willemsen als musikalischen Begleiter in seine Talkshow holte. Wer Willemsens Texte hört, zumal wenn sie so pointiert und treffend gelesen werden wie von dem Schauspieler Markus John und der Moderatorin und Schauspielerin Marion Mainka, der möchte die dazugehörige Musik hören. Bei seinen Abenden „Willemsen legt auf“, die man auch beim Festival „Enjoy Jazz“ erleben konnte, besorgte Willemsen das mit mitgebrachten Tonträgern. In der Alten Feuerwache hatte man sich für Livemusik des von Willemsen ebenfalls geschätzten Jazztrios des Pianisten Frank Chastenier entschieden. Die machten das gediegen und kultiviert, mehr aber auch nicht.

x