Ludwigshafen Lästern über die Tussi nebenan

Den vergangenen Samstag haben mein lieber Mann und ich gemeinsam mit allerbesten Freunden für einen Ausflug auf die Frankfurter Buchmesse genutzt. Der Bummel durch die diversen Hallen, das Zuhören bei amüsanten oder auch erhellenden Gesprächen mit Autoren ist für uns schon seit vielen Jahren zu einer Tradition im (Bücher-)Herbst geworden. So gut besucht wie in diesem Jahr habe ich den pulsierenden Messe-Kosmos noch nicht erlebt. Es ist für mich einfach ein großes Glück, dass sich so viele Menschen für das geschriebene Wort, für Geschichten interessieren. Am meisten gelacht haben wir schon am Morgen beim ARD-Forum, wo der TV-Literaturkritiker Denis Scheck sich trefflich über die aktuellen Titel einschlägiger Bestsellerlisten lustig machte. Während der 51-Jährige das jüngste Werk der Ludwigshafener Trash-Ikone Daniela Katzenberger (Eine Tussi sagt „Ja!“) durch den Kakao zog, signierte die Superblondine nur einen Steinwurf entfernt fleißig ihre Bücher. Ehemann Lucas Cordalis beschützte „die Katze“ dabei vor zahlreichen kreischenden Fans und hörte wahrscheinlich nicht, dass Denis Scheck über Danis primitive Kosten-Nutzen-Analyse ihrer ersten Brustvergrößerung lästerte. Menschen, die angeblich keine oder kaum Zeit zum Lesen haben, legte Scheck die Lektüre von Gedichten ans Herz. Dafür brauche man gerade mal ein paar Minuten, meinte der Vielleser, und doch könne ein einziges Gedicht den Rezipienten nachhaltig prägen. Als Beispiel rezitierte er markig ein kleines Stück über den Raps. Seit er jene Zeilen das erste Mal gelesen habe, so Scheck, sehe er ein jedes Rapsfeld mit ganz anderen Augen. Den Roman des Jahres konnten die Besucher der Buchmesse nach Ansicht Schecks noch gar nicht ausmachen. Denn Christoph Ransmayrs Werk „Cox oder Der Lauf der Zeit“ erscheint erst heute. Das neue Werk des Österreichers (62) handelt Scheck zufolge von einem englischen Uhrmacher am Hof des Kaisers von China im 18. Jahrhundert. „Ein wahnsinnig schlauer Roman über das, was wir mit der Zeit und was die Zeit mit uns macht“, befand der Spezialist, der immerhin Woche für Woche etliche Neuerscheinungen sichtet. Den Gedanken, dass die Lektüre eines kleinen oder auch großen Textes den Leser nachhaltig prägen und vielleicht sogar verändern kann, finde ich sehr faszinierend und absolut einleuchtend. Hätte etwa mein Kind nicht schon als kleiner Junge sämtliche Harry-Potter- und Der-Herr-der-Ringe-Geschichten sowie etliche Astrid-Lindgren-Bücher – allen voran Die Gebrüder Löwenherz – verschlungen, wäre er sicher heute kein guter Sohn. Aber diese Idee im Hinterkopf macht es mir jetzt noch schwerer zu entscheiden, welche der vielen Empfehlungen, die ich auf der Buchmesse im Vorbeigehen zufällig aufgeschnappt und in den zahlreichen Literaturbeilagen vieler Zeitungen entdeckt habe, ich in den nächsten Wochen lesen soll. Und wenn ich mir heute noch jenen neuen Ransmayr-Roman kaufe und am Abend das erste Kapitel lese, denke ich dann schon morgen ganz anders über die Zeit als jetzt gerade? Die Kolumne Fünf Redakteure berichten für die RHEINPFALZ über Ludwigshafen. Ihre Erlebnisse aus dem (Arbeits-)Alltag nehmen die Redakteure in der Kolumne „Quintessenz“ wöchentlich aufs Korn.

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