Ludwigshafen Neue Musik für einen Stummfilm-Klassiker

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„Menschen am Sonntag“ ist ein filmhistorisch bedeutendes Werk aus dem Jahr 1930. Das Ditzner Twintett hat den Stummfilm musikalisch neu vertont. Der Klang zu den Bildern entsteht zu großen Teilen aus Improvisation der Musiker Bernhard und Roland Vanecek und Erwin Ditzner. Die Aufführung im Kulturzentrum Das Haus war für Film- und Jazz-Freunde gleichermaßen begeisternd.

„Menschen am Sonntag“ entstand in Berlin nach einem Script von Billy Wilder, der später als Regisseur berühmt werden und sechs Oscars gewinnen sollte. Grundlage war eine Reportage von Curt Siodmak über junge Menschen in Berlin, mitgearbeitet hat auch Curts Bruder Robert. Alle drei flohen 1933 vor den Nazis und machten später in Hollywood Karriere. Ihr gemeinsamer Film war für die damalige Zeit ein radikaler Bruch mit dem Stil des Stummfilms. Nach dem Ersten Weltkrieg war in Deutschland der expressionistische Film entstanden, die bekanntesten sind Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und Fritz Murnaus „Nosferatu – eine Sinfonie des Grauens“. Beide Filme spielen in Fantasiewelten und die stark geschminkten Schauspieler spielen mit überzeichneter Mimik und Gestik. „Menschen am Sonntag“ arbeitet dagegen mit Alltagsbildern und Alltagsmenschen aus Berlin. Die Darsteller der vier Hauptfiguren hatten keine Schauspielerfahrung und waren angewiesen, sich wie im richtigen Leben zu verhalten. Neu im Kunstfilm waren auch die Reportage- und Collage-Elemente, die das Leben in der Großstadt einfangen. Der Film nähert sich der Stadt zunächst in Kamerafahrten, die in den Verkehr auf den Straßen eintauchen. Nach und nach entdeckt die Kamera die vier Protagonisten. Wolfgang lernt Christl kennen, die bringt zur Verabredung ihre Freundin Brigitte mit und lernt dabei Wolfgangs Freund Erwin kennen. Den Sonntag verbringen die Vier am Nikolassee. Das Ditzner Twintett hat einen abwechslungsreichen und atmosphärischen Soundtrack zum Film geschaffen. Bemerkenswert ist dabei die fließend organische Verbindung von Groove und Sound, gelegentlichen Klangmalereien, Zitaten bekannter Stücke und Improvisation. Das Ganze passiert wunderbar synchron zum Geschehen auf der Leinwand. Bei der Fahrt in die Stadt mit dem Zug rührt Ditzner einen Train-Shuffle auf der Snaredrum, ein Dampfer tutet aus Roland Vaneceks Tuba, sein Bruder Bernhard lässt die Posaune mit modulierten Tönen für eine Menschenmenge sprechen. So wie der Film durch Bewegung, Schnittfolge und Dichte der eingefangenen Bilder Dynamik entwickelt, so folgt das Twintett mit seinen Klangbildern. Musikalisches und filmischen Geschehen werden für die Zuschauer/-hörer zu einem ganzheitlichen Erlebnis. Und das wirkt ausgesprochen unterhaltsam. Die Idee hatte das Provinzkino Enkenbach-Alsenborn, aus der Nachbarschaft der Vanecek-Brüder. Sie haben schon öfter mit den Kinobetreibern in ähnlichen Projekten zusammengearbeitet. Für „Menschen am Sonntag“ hat das Ditzner Twintet die Originalmusik von Otto Stenzeel beiseite gelassen und Stücke neu erarbeitet. Die Musiker haben sich Fixpunkte gesetzt, zwischen denen sie Motive und Stücke spielen und improvisieren. Den Ablauf kontrollieren sie über Stoppuhren. Ditzner arbeitet mit Grooves und Sounds seines Drumsets, die Brüder spielen Posaune, Tuba, Melodika und Klavier. CD-Tipp Ditzner Twintett „Sonntag“ (Fixcel Records).

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